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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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in der warmen Sonne frierend, hatte sie wieder zu denken begonnen. Es war dumm gewesen zu flüchten. Dumm und herzlos. Benedikts Mutter musste ungeduldig darauf warten, mit jemandem zu sprechen, der dabei gewesen war. Bei dem, was alle nannten. Nichts war so schlimm, wie nichts zu wissen. Auch musste sie erfahren haben, dass Benedikts Verlobte, denn als die hatte sie sich ausgegeben, damit man sie überhaupt zu ihm ließ, dass diese Verlobte in Burgos war und ihn besuchte.
    Die Flucht, anders war ihr rasches Verschwinden nicht zu bezeichnen, war ein Reflex gewesen. Mehr nicht. Auf dem Vorplatz des Hospitals hatte sie zu den Fenstern hinaufgesehen, eines im zweiten Stock musste zu Benedikts Zimmer gehören, doch sie war nicht zurückgegangen.
    Sie war weitergelaufen, kreuz und quer durch die Stadt, hinauf zum castillo, der Burgruine, von deren Mauerresten der Blick so weit über das Land ging, dass sie sich ganz klein gefühlt hatte, und weiter — sie wusste nicht mehr wohin. In ihrem Kopf kämpften wirre Gedanken mit vernünftigen. Sie war mit einem Plan auf diese Reise gegangen, doch er war vage gewesen. Sie hatte niemals gedacht, dass er Gefahr barg. Sie hatte besonders vorsichtig sein wollen, behutsam, und hatte alles falsch gemacht.
    In der Nähe der Plaza del Cid hatte sie sich plötzlich beobachtet gefühlt. Von der anderen Straßenseite starrte ein Mann zu ihr herüber, er setzte rasch die Sonnenbrille auf, als sie ihn bemerkte. Sie war sicher gewesen, ihm schon eine halbe Stunde zuvor auf dem Weg hinauf zum castillo begegnet zu sein. Sie war davongelaufen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Hatte sie sich das nur eingebildet? Warum sollte er ihr nicht nachsehen? Das taten andere Männer auch. Warum sollte er nicht eine dunkle Brille aufsetzen? Die Sonne blendete selbst am Nachmittag noch. Die vernünftige Nina hatte sich töricht geschimpft, die wahre Nina war — wieder einmal — geflohen. Zurück ins Hotel, die Treppen hinauf und in ihr Zimmer. Sie hatte den Schlüssel zweimal umgedreht.
    Der in violettem Rot glühende Abendhimmel hinter dem weitgeöffneten Fenster ließ die Türme und Türmchen der Kathedrale Santa María noch weißer und unwirklicher erscheinen. Wäre diese Reise auch für sie das, was sie für die anderen war — nur ein besonderer Urlaub auf einem besonderen Weg—, hätte sie der Anblick begeistert. Wäre sie nur eine Touristin, wäre sie auch längst in der Kathedrale gewesen, die viele als das schönste und kunstvollste Gotteshaus Spaniens betrachteten.
    Nun erschienen ihr die beiden hoch aufragenden gotischen Spitzen bedrohlich. Als Finger Gottes. Und dieser Gott war zornig. Sie hatte Verantwortung übernehmen und eine alte Schuld begleichen wollen und eine neue verursacht.
    Die Sonne hatte die Wärme des Tages mit hinter den Horizont genommen, die Abendluft drang kalt herein. Bevor Nina das Fenster schloss, sah sie noch einmal in die Gasse, mit der kindlichen Sehnsucht, zu diesen Menschen dort unten zu gehören, die den Maiabend genossen, unterwegs zu einem der vielen Restaurants waren, zu einer Bar auf ein Glas Rioja und eine Portion tapas oder nach Hause zu ihren Familien. Da sah sie ihn wieder. Er stand neben dem Zeitungskiosk und blickte zu ihr herauf. Nun hob er die Hand.
    Hastig trat sie zurück und presste sich mit dem Rücken gegen die Wand. Er war ihr gefolgt, und sie hatte es nicht einmal bemerkt.
    Das ist Unsinn, flüsterte die vernünftige Janina in ihrem Kopf, wieder nur pure Einbildung. Wenn man Angst hat und sich schuldig fühlt, sieht man Gespenster. Das sind Kinderängste, jetzt bist du erwachsen.
    Sie atmete tief und trat, halb hinter der Gardine verborgen, zurück ans Fenster. Er war noch da. Aber er hatte nicht zu ihr hinaufgewinkt, er begrüßte eine junge Frau, vertraut und liebevoll. Sie schob ihren Arm unter seinen, und das Paar schlenderte, die Köpfe im leisen Gespräch zueinandergeneigt, die Gasse hinunter und verschwand in einer Bodega.
    Kinderängste. Sie hätte es gleich erkennen müssen, er war nicht so elegant gekleidet wie der Mann bei der Plaza del Cid, wohl auch kleiner und — eben ein anderer Mann. Sie ignorierte das Zittern ihrer Hände, während sie energisch das Fenster schloss, und fuhr doch erschreckt zurück, als die Glocken zu schlagen begannen. Die großen, tief und warm tönenden der Kathedrale, dann die von San Lorenzo und San Gil, gefolgt von anderen, weiter entfernten Kirchen. Ob die Glocken zu einem späten

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