Tod Auf Dem Jakobsweg
gerichtet, etwas zu, das Leo mal wieder nicht verstand, weshalb sie sich — auch mal wieder — vornahm, spätestens im Herbst, wenn keine lieblichen Sommerabende ihren Lerneifer erstickten, mit einem Spanisch-Kurs zu beginnen.
Jakob seufzte tief. «Ich habe gedacht, das wäre erledigt, für heute reicht es mir eigentlich. Würdest du mich beim Abendessen entschuldigen, Leo? Ich muss noch, sagen wir mal: Verwaltungskram erledigen und mit der Zentrale in Frankfurt telefonieren. Ich komme so schnell wie möglich nach.»
«Keine Chance», Leo schüttelte entschieden den Kopf. «So einfach wirst du mich nicht los. Wenn ich auch kein Spanisch spreche, habe ich die Worte policía und inspector verstanden, und dass er dir mit bedeutungsvollen Blicken gesagt hat, dort drüben warte jemand auf dich, konnte ein Blinder erkennen. Ich komme mit, Jakob. Diesmal gibst du mich am besten als deine Assistentin aus.»
«Obanos», stellte sich der Mann im leichten Sommeranzug im Aufstehen vor, «Inspektor Obanos von der Policía Nacional. Sie sind Señor Seifert, nehme ich an, der Leiter der Pilgergruppe. Und das ist...?» Er sah Leo mit mehr als höflichem Interesse an.
«Frau Peheim», sagte Jakob. «Sie gehört zur Gruppe und unterstützt mich, wenn, ja, wenn ich Unterstützung brauche.» Leos Vorschlag hatte ihm gefallen, leider sah der Inspektor mit seinen wachsamen Augen nicht aus, als könne man ihn leicht hinters Licht führen. Im Übrigen zog er es immer vor, der Polizei gegenüber so weit als möglich bei der Wahrheit zu bleiben, erst recht im Ausland. «Ich nehme an, Sie sind wegen des Unfalls eines unserer Gruppenmitglieder gekommen», fuhr er fort. «Ihr Besuch überrascht mich. Wir haben schon mit Ihren Kollegen in Roncesvalles gesprochen.»
Obanos nickte. «Ja, wegen des Unfalls. Ich weiß, dass Sie mit den Kollegen gesprochen haben. Es ist nur Routine, Señor Seifert, wahrscheinlich überflüssig. Unfälle kommen vor, auch auf dem camino », fügte er mit verbindlichem Lächeln hinzu und strich leicht über seinen gepflegten Schnurrbart, «wo die Reisenden unter dem besonderen Schutz unseres geliebten Nationalheiligen stehen. Ich bin nur neugierig. Sicher können Sie ein paar Minuten für mich erübrigen.»
Tatsächlich war Obanos vor allem neugierig, man könnte es auch unfreundlicher ausdrücken: misstrauisch. Nach seinem Besuch im Hospital hatte er bei der für Roncesvalles zuständigen Polizeistation den Unfallbericht angefordert. Der war so belanglos, wie er erwartet hatte. Danach war ein Tourist leichtsinnig zu nahe an die Kante eines steilen Abhangs getreten, ausgerutscht und hinuntergestürzt. Es gebe weder Hinweise auf Einfluss von Alkohol noch sonstiger Drogen. Ein Selbstmordversuch sei auszuschließen. Es folgten einige Zeilen zur Rettung des Verunglückten mit dem abschließenden Satz, der Verletzte sei nach Burgos ausgeflogen worden, seine Verlobte, Señorita Janina Instein, habe ihn begleitet. Von den erwähnten Namen der an der Bergung Beteiligten erinnerte Obanos auch Eleonore Peheim. Sie musste stärker und mutiger sein, als sie aussah. Oder leichtsinniger. Er fand sie eindeutig zu dünn und trotzdem attraktiv, er mochte ihre wachen Augen, diesen Hauch von Sommersprossen, das ungebärdige Haar. Auch ihr Vorname gefiel ihm, besonders, wenn man ihn auf spanische Weise mit einem a am Ende aussprach. Eleonora — das klang nach großer Oper. Leider war anzunehmen, dass ihr stolzer Name im Alltag zu einem kleinen Lied verkürzt wurde.
Nach der Lektüre des Berichts hatte Obanos darauf verzichtet, noch einmal bei den Kollegen anzurufen und nach nicht zuzuordnenden Spuren zu fragen. Er kannte solche Unfallorte. Wenn eine ganze Wandergruppe und die Besatzung des Rettungswagens dort herumgetrampelt waren, konnte auf einem unbefestigten Weg mit einer Graskante an einem von Steinen und Wurzeln durchsetzten bröckeligen Saum von aussagekräftigen Spuren keine Rede mehr sein. Erst recht, wenn die Erde nach Sturm und Regentagen aufgeweicht war und schon vor dem Unfall zertrampelt und zerfurcht gewesen sein musste.
Auch die Einschätzung der Hämatome des Unfallopfers durch den Rechtsmediziner hatte wenig ergeben. Tatsächlich nichts, was eindeutig darauf schließen ließ, jemand habe mit kräftiger Faust nachgeholfen oder es habe vor dem Sturz gar einen Kampf oder eine Rangelei gegeben. hinterließ bei Obanos grundsätzlich ein ungutes Gefühl. In diesem Fall umso mehr, als der von ihm für
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