Tod Auf Dem Jakobsweg
Kopf und begann die Frage auf Spanisch zu wiederholen: «Qué...»
« Ich nehme an, Sie sind Benedikts Mutter», unterbrach Leo und trat behutsam an das Bett, «ich gehöre zu seiner Wandergruppe. Leo Peheim. Wir sind heute in Burgos angekommen, und ich wollte gleich sehen...»
<...wie es Benedikt geht>, wollte sie fortfahren. Die Veränderung in Ruth Siemsens Gesicht ließ sie verstummen. Deren Augen wurden dunkel, die Lippen pressten sich aufeinander, an ihrer rechten Schläfe pulsierte eine Ader.
«Wie können Sie es wagen», stieß sie hervor, trotz der gedämpften Stimme klang es wie ein Schrei. «Kommen einfach her, hierher zu meinem Sohn, als wäre es ein ganz normaler Krankenbesuch. Sie werden das zu verantworten haben, Sie und Ihr verdammtes Reiseunternehmen.»
«Aber nein, Frau Siemsen, ich bin doch nur...»
Ruth Siemsens Hand schnitt hart durch die Luft. «Ihre Ausreden will ich nicht hören. Wir werden Sie zur Verantwortung ziehen.»
«Sie irren sich», hörte Leo Jakobs Stimme in ihrem Rücken. Er schob sie zur Seite und trat vor, als müsse er sie beschützen, was Leo absolut überflüssig fand. «Wenn Sie jemanden verantwortlich machen wollen, dann mich. Ich bin der Reiseleiter, Frau Peheim ist ein Mitglied der Gruppe. Wie Ihr Sohn.» Auch seine Stimme klang gedämpft und ruhig, Leo kannte ihn schon genug, um auch die Anstrengung darin zu hören. «Sie müssen ihr im Gegenteil dankbar sein. Frau Peheim hat Benedikt nach seinem Sturz entdeckt, sie ist in die steile Schlucht hinuntergestiegen, hat ihn festgehalten und so vor dem Abrutschen bewahrt, bis wir anderen zu Hilfe kamen. Ohne Leos Achtsamkeit und Mut... aber wir sollten Benedikts Ruhe nicht stören und uns im Gang weiter unterhalten.»
Der kurze wütende Ausbruch, der erste, seit sie die Nachricht vom Unfall ihres Sohnes bekommen hatte, hatte Ruth Siemsens Kräfte verbraucht. Zitternd, die Hände vor den Mund gepresst, starrte sie Leo und Jakob an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, ein Schluchzen erstickte in ihrer Kehle.
«Kommen Sie.» Leo legte leicht die Hand auf ihre Schulter. Sie fühlte sich zerbrechlich an, wie Heddas. «Lassen Sie uns in den Flur gehen und reden. Sicher wollen Sie wissen, was vorgestern geschehen ist.»
Ruth Siemsen war eine beherrschte Frau. Zumindest in den letzten zwanzig Jahren hatte niemand ihre Stimme laut werden gehört, hatte niemand sie weinen sehen. Sie hatte viele schwere Jahre erlebt, einzig ihre Selbstdisziplin hatte sie die schwere Zeit bewältigen lassen. Daran glaubte sie fest. Nun saß sie neben diesem Mann, auf den sie ihren geballten hilflosen Zorn konzentriert hatte, spürte seine Hand unbeholfen über ihren Rücken streichen und ließ den Tränen ihren Lauf.
Als sie ruhiger wurde, als ihre Schultern nicht mehr bebten, begann Jakob zu erzählen. Er stünde wie alle Mitglieder der Gruppe vor einem Rätsel. Der Weg sei auch an der Stelle des Unfalls in gutem Zustand und sogar breit genug für die Range Rover der Forstverwaltung und die Fuhrwerke der Holzfäller. Niemand könne sich erklären, warum Benedikt in die Schlucht gestürzt sei.
«Nein, Frau Siemsen», fuhr er rasch fort, als sie sich heftig aufrichtete, «ich will Ihrem Sohn keinen Leichtsinn vorwerfen. Vielleicht hat er sich aus einem triftigen Grund zu nah an die Kante gewagt. Vielleicht hat er, wie später Leo, etwas von unten gehört und wollte nachsehen, ob jemand Hilfe braucht.»
Er hob verzagt die Schultern und sah Leo an. Was sollte man einer Mutter in dieser Situation Tröstliches sagen? Sie brauchte einen Schuldigen, der konnte in keinem Fall ihr schwerverletzter Sohn sein. Benedikt war das Opfer. Etwas anderes konnte für sie nicht in Frage kommen. Jakob verstand das gut.
Leo sah einige Schritte hinter seinem Rücken einen Mann im weißen Kittel um die Ecke biegen, das Stethoskop in der Hand. Er blieb stehen und legte mit fragend gehobenen Augenbrauen einen Finger auf die Lippen. Auf Leos Nicken verschwand er so geräuschlos, wie er gekommen war, in einem der Zimmer, und sie begann das wenige zu erzählen, was sie wusste. Es war nichts, das zur Klärung des Unfalls beitrug, vielleicht würde es Frau Siemsen trotzdem helfen, die angstvollen Bilder ihrer Phantasie von Benedikts Sturz mit denen seiner Rettung zu überdecken. Das war nicht viel, aber besser als nichts.
Ruth Siemsen hörte mit gesenktem Kopf zu. Als das Papiertuch in ihren Händen nur noch ein klebrig nasser Klumpen war, ließ sie es einfach fallen und
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