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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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anstrengend und frustrierend für die Langsamen, weil sie sich dann Mühe geben, niemanden aufzuhalten, und für die Schnellen, weil sie sich ständig gebremst fühlen. Eine Gruppe zieht sich immer auseinander, besonders bei anstrengenden Etappen wie der über die Pässe.»
    «Ich weiß, wie Wanderungen in Gruppen ablaufen», unterbrach Obanos sanft. «Darum geht es nicht, Señor Seifert.»
    «Da bin ich froh. Frau Siemsen scheint anderer Meinung zu sein. Sie denkt daran, mich oder das Reiseunternehmen, für das ich arbeite, zu verklagen. Ich hoffe für sie, sie hat einen vernünftigen Anwalt, der ihr davon abrät.»
    «Hat sie das gesagt? Dass sie Sie verklagen wird? Zu mir hat sie von einem anderen Verdacht gesprochen.» Kaum gesagt, bereute Obanos den letzten Satz. «Das war nur eine vage Idee», fuhr er rasch fort. «Menschen in ihrer Situation brauchen ein Ventil für Angst und Zorn.»
    Wie er befürchtet hatte, fragte Leo trotzdem: «Was ist das für ein Verdacht, Inspektor?»
    «Ach, Verdacht ist ein zu großes Wort, es ist nur eine Phantasie. Sie wissen also nicht, wer die Unfallstelle vor Ihnen passiert hatte?»
    «Als ich Benedikt fand, noch nicht. Abends haben wir darüber gesprochen, und jeder hat auch erklärt, wo er zur Zeit des Unfalls gerade war. Wie man so etwas eben gemeinsam überlegt. Benedikt kann erst, kurz bevor ich an der Stelle eine Rast machte, abgestürzt sein.»
    Sie sprach nicht weiter. Es erschien ihr wie Verrat, einem Polizisten zu erzählen, wer Gelegenheit gehabt hätte, Benedikt in den Abgrund zu stoßen. Bisher war diese Vorstellung absurd gewesen, unter den wachsamen Augen eines spanischen Inspektors wurde sie bedrohlich. Jakob war keine Unterstützung. Er betrachtete konzentriert die Schwielen in seiner rechten Hand.
    «Jakob», sagte sie. «Hilf mir mal, ich bin mir nicht mehr sicher.»
    Endlich blickte er auf, sah von Leo zu Obanos und zurück zu Leo, als habe er während der letzten Minuten nicht zugehört.
    «Es waren nur vier. Felix, Enno, Selma und Nina. Aber es ist doch lächerlich, Inspektor. Zu glauben, einer von ihnen... nein, das ist mehr als lächerlich. Die Gruppe hatte sich erst am Tag zuvor kennengelernt, in manchen Gruppen riecht es gleich, von der ersten Stunde an, nach schlechter Chemie, in dieser nicht. Am Tag unserer Ankunft in Burguete und auch am Tag des Unfalls herrschte richtig gute Stimmung. Es gab keine Konflikte, wenn man von Klagen über das Fehlen von Tee und Vollkornbrot auf dem Frühstücksbüfett absieht. Glauben Sie mir, da war und ist niemand, der nicht tief betroffen ist. Benedikt Siemsen ist ein ausgesprochen liebenswürdiger Mensch, alle mochten ihn. Mögen ihn, meine ich.»
    Obanos dachte flüchtig an den guten Hirten, der seine Schafe vor dem Wolf beschützen will, und dass schon ganze Familien von einem der ihren massakriert worden waren, von dem alle Nachbarn schworen, er sei ein ungemein liebenswürdiger Mensch.
    «Zudem sind die vier, die vorausgingen, zusammen gegangen», fuhr Jakob wieder ruhiger fort. «Sollten vier Menschen, die sich vor achtundvierzig Stunden noch nicht kannten, gemeinschaftlich einen fünften, den sie ebenso wenig kennen, eine Schlucht stürzen? Eine so geballte Psychopathologie gibt es in dieser Gruppe nicht.»
    Leo spürte einen rasch prüfenden Blick des Inspektors und bemühte sich um ein neutrales Gesicht. Je mehr Jakob seine Gruppe verteidigte, umso deutlicher wurde ihr, dass das, was er sagte, nicht auf alle zutraf, die die Absturzstelle vor Benedikt passiert hatten.
    «Sicher haben Sie recht, Señor Seifert, allerdings übersehen Sie etwas. Der letzte Name...» Obanos blätterte in seinen Notizen, fand das Gesuchte und klopfte mit dem Finger auf eine in sauberer Handschrift notierte Liste. «Sie sagten Nina? Steht das für Janina Instein, die Verlobte Señor Siemsens? Sie wird ihn länger als achtundvierzig Stunden gekannt haben, nicht wahr? Ich möchte mich mit ihr unterhalten. Können Sie mir sagen, wo ich sie finde?»
    «Nina, ja. Sie kennt Benedikt natürlich länger. Sie ist eine zarte, stille Person, sehr beherrscht. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, sie würde so etwas auch nur in Erwägung ziehen. Sie haben sie nicht an der Unfallstelle erlebt, Inspektor, sie war außer sich, als sie mit den anderen zurückkam, nachdem sie Leos Hilferufe gehört hatten. Schneeweiß im Gesicht und ihr Blick — pure Angst um Benedikt. Aber es mag sein», Jakob seufzte und ließ die Hände schwer auf die

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