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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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letzten Teil der Tagesetappe bis Castrojeriz in Angriff. Die «Faultiere», als die Felix sie lachend beschimpft hatte, befreiten ihre müden Füße von den schweren lehmverkrusteten Stiefeln, verspeisten die Reste des Picknicks oder legten sich auf ihren Regenumhängen ins feuchte Gras und ließen sich von der Sonne bescheinen. Leo sah den ziehenden Wolken nach, lauschte dem behäbigen Summen einer Hummel — die sich an einer schwankenden blauvioletten Glockenblume gütlich tat — und war schon eingeschlafen.
    Als Edith sie weckte — Ignacio warte, es sei nun Zeit aufzubrechen—, schrak Leo aus einem flüchtigen Traum auf, dessen Bilder sofort schwanden. Ein schönes Gesicht war darin erschienen und eine kleine Tätowierung.
    Der Nachmittag war weit fortgeschritten, der Himmel hatte wieder einen grauen Vorhang vorgezogen. Sie war immer noch schläfrig, zu sehr, um sich selbst auf die Lektüre von Cees Nootebooms «Der Umweg nach Santiago» zu konzentrieren, diese so wunderbar und umfassend erzählte Reise durch die vielfältigen Landschaften Spaniens. Am Morgen hatte sie sich vorgestellt, während der langen Wanderung dieses Tages alles zu überdenken, was bisher geschehen war, was sie von Ruth Siemsen erfahren und im Internet gefunden hatte. Ein fruchtloser Vorsatz. Der Sog des Gehens, das Gleichmaß der Schritte, hatten ihre Gedanken wieder in tausend Richtungen wandern und schon im nächsten versickern lassen. Die Weite und Stille, die Ruhe dieser Landschaft, in der ihnen außerhalb der Dörfer bis auf einen Schäfer mit seiner Herde und ein schwerbepacktes Pilgerpaar niemand begegnet war, zeigte das Geschehen der letzten Tage in blassem Licht. Als sei es schon weit entfernt.
    Tatsächlich war, was sie wusste, wenig und belanglos. Wäre in Burgos nicht dieser Inspektor aufgetaucht, hätte er nicht angedeutet, dass mit Benedikts Unfall womöglich etwas nicht stimme, hätte sie bei aller Neugier und ihrem Hang, Dingen auf den Grund zu gehen, kaum länger darüber nachgedacht. Wahrscheinlich nicht.
    Leo ließ ihren Blick träge durch den Bus gleiten. Alle dösten oder lasen, Ignacio hatte eine CD eingeschoben, mehr für sich als für seine Passagiere. Das «Concierto de Aranjuez», für Liebhaber klassischer spanischer Musik der reinste Gassenhauer, klang so leise aus den Lautsprechern, dass es sich mit dem Motorengeräusch vermischte.
    Ihr Blick fiel auf ein dickes, in dunkelrote Pappe gebundenes Heft auf der Nachbarbank. Auch heute war dort Heddas Platz, sie hatte das Heft am Morgen aus ihrem Rucksack gezogen, um sich auf der langen Strecke dieses Tages mit möglichst wenig Gepäck zu belasten. Sie hatte es unter einem Halstuch verborgen, das durch das Schaukeln des Busses heruntergerutscht war. Es sah wie ein Skizzenblock aus, und während Leo noch halbherzig überlegte, ungefragt einen Blick hineinzuwerfen, trotteten zwei gehörnte weiße Rinder auf die Straße, Ignacio trat herzhaft fluchend auf die Bremse, und der Block sauste vom Sitz unter die vordere Bank. Natürlich konnte sie es dort nicht liegen lassen und erst recht nicht einfach wieder zurücklegen.
    Was Leo sah, machte sie hellwach. Hedda war keine, von der man auf den ersten Blick oder auch nach wenigen Tagen vermuten konnte, was sie bewegte, welche Vorlieben oder Talente sie barg. Sie zeigte sich freundlich, aber verschlossen, sie gab selten preis, was sie dachte, nie, was sie fühlte, nichts an ihr ließ vermuten, dass sie das zeichnend auszudrücken verstand.
    Leo hatte sie niemals mit Block und Zeichenstift gesehen, doch die Skizzen mussten Heddas eigenes Werk sein. Sie erkannte die aus wenigen Strichen eines weichen Bleistifts entstandenen Porträts von Ignacio und Enno, die Frau mit der Muschel auf der Stirn musste Eva sein, Rita mit strengem Blick, Selma — oder Edith? — steckte ihre Nase in eine Rosenblüte. Der lachende Felix war so leicht zu identifizieren wie die vergnügte dicke Nonne mit der Zahnlücke in der hostelería von Santo Domingo de la Calzada, Hedda hatte ihr einen krähenden Hahn auf die Schulter gesetzt.
    Andere, die Hedda für misslungen halten mochte, waren halb fertig durchkreuzt. Dazwischen angedeutete Landschaften und Gebäude, die Silhouette eines Dorfes, der ebenfalls durchkreuzte Versuch des Arco de Santa María in Burgos. Ein Blatt war allein schroffen Felsen vorbehalten, über denen hoch am Himmel große Vögel kreisten. Weiter zurückblätternd fand sie eine Serie von Madonnen mit dem Kind, alle mit diesen

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