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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nach Mitternacht, sie waren die letzten Gäste.
    «Was soll ich nur tun?», murmelte Ruth Siemsen «Ich hatte gedacht, wenn er erwachsen ist, hört die ständige Sorge auf. Ich kann doch nicht mein Leben lang auf ihn aufpassen.»
    «Kommen Sie, Ruth, wir müssen gehen.» Leo stand auf. «Unser geduldiger Wirt schläft schon im Stehen.»
    Sie ging zur Theke und zückte ihr Portemonnaie. Sie verstand nicht, was der Wirt ihr wortreich zu erklären versuchte, die Müdigkeit ließ ihn vergessen, dass er eine Touristin vor sich hatte, die seine Sprache nicht beherrschte. Als sie ihr Wechselgeld zurückbekam, begriff sie. Er hatte sich nur den Wein bezahlen lassen.
    Leo nahm Ruth Siemsens Arm, sie ließ sich willig in die Gasse hinausführen. Während des Gesprächs hatte sie wieder nüchtern gewirkt, vielleicht ließ nur die Erschöpfung sie jetzt schwanken.
    Nach einigen Schritten blieb Leo stehen und sah sich um. Die Gasse lag im Dunkel, nur hinter wenigen Fenstern in den oberen Stockwerken brannte noch Licht. In den Parterreräumen befanden sich kleine Werkstätten, Lagerräume und Läden, die Material für Klempner- oder Gartenarbeiten und altmodisches Haushaltsgerät wie Zinkwannen, Plastikgeschirr und Fleischwolf anboten, dazwischen ein Antiquitätengeschäft die staubige Auslage ließ selbst in der Dunkelheit eher auf Trödel als antike Schätze schließen.
    «Wissen Sie, wo wir sind?», fragte Ruth Siemsen und versuchte vergeblich, einen Schluckauf zu unterdrücken. «Ich habe nämlich keine Ahnung.»
    «Ich schon», behauptete Leo, «so ungefähr.»
    Sie vertraute auf ihren guten Orientierungssinn, mit dem Gewirr der Altstadtgassen mochte er allerdings überfordert sein. Kein Grund, das zu erwähnen. Niemand war mehr unterwegs, den sie hätten fragen können. Von den großen Straßen außerhalb der Altstadt klang das Geräusch von Automotoren herüber, aus einem Hof hinter einer hohen Pforte das kämpferische Fauchen zweier Kater, irgendwo klappte eine Holztür zu — sonst war es ruhig. Einmal glaubte sie, Schritte zu hören; als sie sich umdrehte, war die Gasse leer und still. Sie hatte den Stadtplan gründlich studiert und sorgte sich nicht, in Burgos gelangte man unweigerlich auf einen der großen Plätze, an den Fluss im Süden, den Burgberg mit dem Arco de San Esteban im Norden oder einfach zu einem Wegweiser zur Kathedrale. Das konnte einen lästigen Umweg bedeuten, doch wie Jakob gesagt hatte: Burgos war weder Neapel noch Mexico City.
    «Hier entlang.» Leo zog Ruth Siemsen in eine abzweigende Gasse und zeigte zum Himmel. «Was über den Häusern so leuchtet, kann nur der Lichtschein der Kathedrale sein, von dort sind es nur ein paar Schritte zum Hotel.»
    Ruth Siemsen kämpfte immer noch mit ihrem Schluckauf. Sie hatte zwanzig Jahre lang stets und ständig für alles und jedes Verantwortung getragen und Entscheidungen treffen müssen. Es gefiel ihr, nun einfach zu folgen, ohne eine Sekunde an den Gedanken zu verschwenden, ob sie auf dem richtigen Weg waren. Nüchtern hätte sie sich nicht darauf eingelassen, nüchtern musste sie stets die Kontrolle behalten.
    «Was ist los?», fragte sie, als Leo stehen blieb. «Geht’s hier nicht weiter?»
    «Doch.» Leo blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in die sich zum Gang verengende Gasse und senkte unwillkürlich die Stimme. «Ich Weiß nur nicht, ob wir hier in einer fremden Garage oder Werkstatt landen», flüsterte sie, «oder ob es am Ende dieses schwarzen Schlauches weitergeht. Vielleicht sollten wir besser umkehren.»
    «Umkehren? Auf keinen Fall. Wissen Sie ungefähr , wo wir sind?»
    «Fast am Hotel. Glaube ich. Auf alle Fälle in der richtigen Richtung, vor uns ist immer noch der helle Schein von der Kathedrale.»
    «Dann gehen wir weiter.»
    «Durch diesen Tunnel?»
    «Egal. Ich brauche mein Bett, sonst müssen Sie mich gleich tragen.» Ruth Siemsen kicherte mit ungewohnter, doch höchst angenehmer Leichtfertigkeit. «Gemeinsam sind wir stark. Sie und ich und unser Schutzengel.»
    «Na gut», sagte Leo. «Für zwei samt Schutzengel ist der Gang nicht breit genug. Ich gehe vor, halten Sie sich an meinem Anorak fest.»
    «Wir sind doch nicht im Kindergarten», nuschelte Ruth und griff trotzdem folgsam nach dem Anorak. «Los, gehen Sie schon, es kann ja nicht mehr weit sein.»
    Leos Augen versuchten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, vor allem nahm sie Gerüche wahr — danach war dies kein für Menschen gedachter Durchgang, sondern die Abflussrinne

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