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Tod Auf Dem Jakobsweg

Tod Auf Dem Jakobsweg

Titel: Tod Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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traurig-leidenden Gesichtern, wie sie sie während der letzten Tage oft in den Kirchen gesehen hatten. Märtyrergesichter. Die Marien mit frohem oder beseeltem Lächeln entdeckte sie nicht.
    Noch weiter zurück das Kind ohne Madonna, noch einmal, zehn oder zwölf Versuche. Keiner war beendet worden. Ein anderes Gesicht wiederholte sich mehrfach. Es zeigte einen Mann, besonders flüchtig gemalt, doch erkennbar.
    Der Bus hielt an einer Abzweigung, eine schmale, von Bäumen gesäumte Straße nach dem nur in alter Zeit bedeutenden Castrojeriz und der auf einer Hügelkuppe über dem Ort thronenden trutzigen Burgruine. Ein sehr altes steinernes Pilgerkreuz und ein sehr neues blaues Schild mit dem gelben Muschelzeichen standen nebeneinander zwischen Disteln und Gestrüpp, als ungleiches Paar ein Symbol für die Verbindung von Geschichte und Gegenwart auf dem camino.
    Auf dem Weg, der ein wenig oberhalb der Straße durch die Felder heranführte, näherte sich der wandernde Rest der Gruppe, nah beieinander, niemand fehlte. Enno schwang winkend einen nahezu schulterhohen kräftigen Wanderstock, ein nützliches Fundstück. Seinen alten hatte er bei der ersten Wanderung im Nebel bei einer Rast liegengelassen.
    «Nun reicht es aber für heute», rief Felix stöhnend, als er in den Bus kletterte, «dreißig Kilometer! Ich gehe keinen Schritt mehr. Selbst ins Bett müsst ihr mich tragen.»
    Alle lachten, und als jeder seinen Platz gefunden und Jakob pflichtschuldig durchgezählt hatte, rollte der Bus weiter. Bis Frómista, dem Ziel für die Nacht, waren es nur noch fünfundzwanzig Kilometer.
    Hedda lehnte sich erschöpft in die Bank, ihren Skizzenblock im Schoß. Leo hatte ihn rasch zurückgelegt, als sie die Wandernden entdeckte.
    Sie hörte den Berichten von der letzten Etappe zu, die zwischen den Sitzreihen ausgetauscht wurden, sie hatte nichts versäumt.
    «Und was habt ihr gemacht?», fragte Hedda. «Gefaulenzt?»
    «Ja. Geschlafen, Bus gefahren, gefaulenzt. Ich muss dir etwas beichten. Vorhin ist dein Skizzenbuch vom Sitz gerutscht, ich habe es aufgehoben und, na ja, da habe ich hineingesehen. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel. Du zeichnest fabelhaft, Hedda. Warum versteckst du das?»
    «Das tue ich gar nicht.» Hedda saß nun sehr aufrecht, öffnete ihren Rucksack, schob das Skizzenbuch hinein und schloss ihn sorgfältig. «Soll ich es etwa hochhalten? ? Ich zeichne überhaupt nicht fabelhaft. Hast du mal die Zeichnungen von Albrecht Dürer gesehen? Die sind fabelhaft. Dagegen sind meine nichts. Gar nichts. Ich mache das nachts oder wenn ich sehr früh aufwache. Nur für mich. So soll es auch bleiben. Du hast es doch nicht herumgezeigt?»
    Leo schüttelte den Kopf. Sie fand den Vergleich mit einem Genie wie Dürer falsch, der konnte nur deprimierend ausfallen, aber sie verstand Heddas Scheu. Die Artikel, die sie schrieb, wurden veröffentlicht, doch sie kannte die Leser nicht. Obwohl ihr Name darunterstand, blieb das schützende Gefühl der Anonymität. Freunden zeigte sie ihre Manuskripte nie.
    «Wenn es dir lieber ist, behalte ich mein Wissen um deine Kunst natürlich für mich, aber...»
    «Keine Kunst.» Heddas Stimme klang abwehrend und rauh. «Es ist nur wie Tagebuchschreiben. Das interessiert niemand. Soll es auch nicht.»
    «Schon verstanden. Trotzdem, wo hast du das gelernt?»
    «Wo? In einem Kurs», erklärte sie achselzuckend. «Ein Kurs in... so einer Art Volkshochschule. Dort kann man manches lernen, wenn man lange genug Zeit hat.»
    Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. «Ich bin müde», murmelte sie. Und: «Es hat so lange gedauert.»
    Leo hingegen war immer noch hellwach. Sie griff nach ihrem Buch und vertiefte sich für die letzten Kilometer in das Kapitel «Wintertage in Navarra».
    Die östliche Provinz Nordspaniens lag längst hinter ihnen, sie durchquerten nun das nördliche Kastilien, auch von Wintertagen konnte keine Rede sein. Aber so schöne Sätze wie «graue, braune, purpurne Landschaften, der große Malkasten der Elementarfarben» oder «Heute weht ein böser Wind über die Ebene, ein Wind, der von weit her kommt und unterwegs niemandem begegnet ist» oder « Wenn man anhält, hört man die Stille rauschen» beschrieben die verschiedenen Etappen auch ihrer Tour. Sie hatte begonnen, dieses Buch zu lieben, allerdings barg es eine Gefahr: Es machte die eigene kleine Reise banal und weckte den brennenden Wunsch, sich wie der niederländische

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