Tod auf der Fähre (German Edition)
zur Lösung des Mordfalls beitragen. Die Überführung des Täters war also reine Formsache! Und somit könnte er schon morgen früh Staatsanwalt Borer seinen Abschlussbericht auf den Tisch klatschen. In solchen Momenten war Borer nicht um seinen Job zu beneiden, denn er würde der Presse Red und Antwort stehen müssen, und wie er sich auch immer verhielt, irgendjemand würde ihm daraus später einen Strick drehen. Die Gesellschaft der oberen Zehntausend verzieh es nicht, wenn ihresgleichen auf die Anklagebank gesetzt wurde.
Nach Rücksprache mit dem leitenden Arzt konnte der Kommissär ungehindert durch die Parkanlage spazieren. Er wusste, wo er Isabelle Piatti und Herbert Kuhn finden würde. Die beiden sassen, ohne sich zu unterhalten, auf der Parkbank, wo er Isabelle Piatti kennen gelernt hatte.
«Störe ich?»
«Aber nein, Herr Ferrari. Ich freue mich, Sie wieder zu sehen.»
Isabelle begrüsste ihn wie einen alten Freund.
«Setzen Sie sich zu uns.»
Herbert Kuhn reichte ihm geistesabwesend die Hand. Isabelle Piatti zwinkerte dem Kommissär zu.
«Ich müsste Ihnen eigentlich böse sein.»
«Ich weiss, ich möchte mich auch entschuldigen.»
«Sie wissen also, weshalb.»
«Ich habe Ihnen was vorgegaukelt. Aber gelogen habe ich nicht, nur nicht alles gesagt.»
«Zum Beispiel die Kleinigkeit, dass Sie im Mordfall Brehm ermitteln.»
«Ja, das habe ich unterschlagen.»
«Und wie soll ich Ihren ersten Besuch deuten?»
«Er war, ich schwör es Ihnen, er war vollkommen privater Natur. Nach meinem Gespräch mit Ihrem Freund wollte ich Sie einfach kennen lernen.»
«Sie wollten nicht zufällig ein wenig Schicksal spielen?»
«Sie haben mich ertappt! Aus diesem Grund bin ich auch heute hier.»
Herbert Kuhn schien das Gespräch nicht zu verfolgen, er wirkte apathisch.
«Geht es Ihnen besser, Frau Piatti?»
«Viel besser. Die Zeit heilt alle Wunden, wie man so schön sagt.»
«Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Ihre Wunden und die von Herrn Kuhn sehr, sehr schnell verheilen.»
«Wenn man hier sitzt, in der Abgeschiedenheit einer … einer Zelle, dann findet man zu sich. Für mich war dieser Aufenthalt eine Zeit der Meditation.»
«War?»
«Ich werde morgen entlassen. Ich bat darum. Ich bin in den letzten Tagen und Wochen vor mir selbst davongerannt. Aber irgendwann geht das nicht mehr. Der Atem wird zu schwer und die Probleme lassen sich nicht abschütteln. Es ist Zeit, sich ihnen zu stellen.»
«Ich wünsche Ihnen viel Kraft.»
«Kraft? Der Mensch ist glücklicherweise so programmiert, dass er mit der Zeit vergessen und verdrängen kann. Wenn man von Kindheit an alle Sorgen und Ängste mit sich herumschleppen müsste, würde man unter dieser Last zusammenbrechen. Das menschliche Gehirn streicht von Zeit zu Zeit Erlebnisse aus seinem Programm und lässt Platz für andere. Hoffentlich schönere Erlebnisse.»
«Das haben Sie schön gesagt, Frau Piatti.»
«Bitte nennen Sie mich doch Isabelle. Glauben Sie an Gott, Herr Ferrari?»
«Francesco, bitte. Seltsam, das wurde ich heute schon einmal gefragt. Ich glaube an Gott oder, besser gesagt, an eine höhere Macht, die über unser Schicksal wacht. Sie können es Gott oder wie auch immer nennen.»
«Und glauben Sie an das Übersinnliche?»
«An Wahrsagerei?»
«Nicht an Wahrsagerei, an Horoskope und solche Dinge. Glauben Sie daran, dass es Menschen gibt, die über besondere Kräfte verfügen?»
«Ja, ich glaube, es gibt solche Menschen. So wie es Menschen gibt, die über ein besonderes Talent verfügen, zum Beispiel Sänger, Schauspieler, Führungspersönlichkeiten oder Künstler.»
«Ich habe gestern lange mit einer Frau telefoniert, von der man sagt, dass sie übersinnliche Fähigkeiten besitzt. Es war sehr aufschlussreich und äusserst beängstigend. Die Frau hat mich noch nie gesehen und trotzdem beraten, als wenn sie mich seit Jahren kennen würde.»
«Daran glaube ich eher weniger.»
«Sie müssen mit ihr sprechen, Francesco. Sie beantwortete meine Fragen ohne auszuweichen. Und einiges, was sie über mich wusste, konnte sie gar nicht wissen.»
«Ich weiss nicht … das ist eher nichts für mich.»
«Das Thema ist Ihnen unangenehm. Wieso?»
«Die Vorstellung, dass eine Person in meine Gedanken eindringt und mein Innerstes aufwühlt, lässt mich erschaudern. Ich möchte das nicht. Ich würde das auch nie zulassen. Genauso, wie ich nie wissen möchte, was mir die Zukunft bringt. Ich lebe in der Gegenwart und ich möchte mein Leben selber
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