Tod auf der Koppel
schämt sich jetzt.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das sähe ihm gar nicht ähnlich. Du weißt ja, daß er in dich verschossen ist.«
Sara blickte überrascht hoch. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. »Das ist völlig unmöglich. Er ist doch noch ein Kind, Jahre jünger als ich!«
»Ihr seid bloß zwei Jahre auseinander... Ach du liebe Güte, da kommt er schon, und wir haben nur noch ein paar kalte Nudeln für ihn. Aber er wird so begeistert sein, dich hier zu treffen, daß er gar nicht merkt, was er ißt.«
Greville erstarrte förmlich, als er Sara erblickte. Seine übertrieben formelle Begrüßung amüsierte sie. Er strafte die Nudeln mit Verachtung und bat um einen starken schwarzen Kaffee. Als ihm seine Schwester Milch und Zucker anbot, schüttelte er sich vor Abscheu. Die Unterhaltung verlief ziemlich einsilbig; denn wenn Greville nicht stumm vor sich hin brütete, starrte er Sara bewundernd an. Doch wenn sich ihre Blicke trafen, schaute er sofort wieder weg. »Er ist schrecklich«, dachte sie. »Junge Männer in seinem Alter können sich zu idiotisch benehmen.«
Sie mußte an Ned denken und lächelte. Wenn Greville geahnt hätte, daß ihr bei seinem Anblick ausgerechnet der Stallbursche eingefallen war! Und plötzlich erinnerte sie sich an die Geschichte, die Ned ihr erzählt hatte. Sie verspürte das unbezähmbare Verlangen, sie zum besten zu geben. »Dieser Mord hat wirklich eine verheerende Wirkung! Ned, unser Stalljunge, der bis jetzt immer ganz normal gewesen ist, zwar ein bißchen frech, aber tüchtig in seiner Arbeit, ist völlig übergeschnappt.«
Annabel sah sie fragend an, und auch Greville zeigte ein schwaches Interesse.
»Nein, er tobt nicht und ist auch sonst nicht gemeingefährlich. Aber er sieht urplötzlich Gespenster. Er schwört, er habe am Abend des Mordes jemand unter meinem Fenster beobachtet, und dieser Jemand habe immerzu etwas von einem kleinen Lockenköpfchen gemurmelt.«
Da schob Greville heftig seinen Kaffee zur Seite und stand auf. Sein Gesicht war über und über rot. Hatte er sich verschluckt? Annabel klopfte ihm, schwesterlich besorgt, auf den Rücken. »Ist dir etwas in die falsche Kehle geraten?« fragte sie ihn im selben Ton, in dem sie mit dem kleinen James zu sprechen pflegte.
Aber Greville sagte heiser: »Laßt mich in Frieden! Dieses elende Geschwätz!« Dann rannte er aus dem Zimmer.
Annabel zuckte kopfschüttelnd die Schultern. »Mutter hat recht. Er wird immer schwieriger«, meinte sie. »Er wird gleich wie ein Wilder davonbrausen und James mit seinem Motorengeknatter aufwecken. Ich will lieber gleich nach ihm sehen. Sara, kümmere dich doch bitte um Greville; vielleicht kannst du ihn bewegen, hier zu bleiben und wenigstens seinen Kaffee zu trinken.«
Sara nickte, blieb aber sitzen. Greville war also derjenige, der unter ihrem Fenster gestanden und immerzu etwas von einem kleinen Lockenköpfchen gemurmelt hatte! Jetzt fühlte er sich ertappt. Selbstverständlich hatte er dem Inspektor nicht erzählen können, wo er gewesen war! Sara mußte an sich halten, um bei dieser Vorstellung nicht laut herauszuplatzen. Aber dann fiel ihr ein, wie sie selbst so unglücklich in Simon verliebt war, und sie bekam Mitleid mit Greville, diesem unreifen Jungen. Wie hätte er sich auch anders entwickeln können bei dieser schrecklichen Mutter und dem viel zu weichen Vater! Er mußte sich einfach einsam und unverstanden fühlen. Wie konnte sie ihm aber helfen? Eine wirklich verquere Situation!
Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer. Greville lag in einem niedrigen Sessel und streckte die Beine wie üblich weit von sich. Verzweifelt sah er sie an. »Sie haben es geahnt, nicht wahr?« sagte er. »Ned hat mich beobachtet.«
»Grämen Sie sich nicht«, meinte sie freundlich. »Ned hat Sie nicht erkannt.«
»Ich bin ein elender Dummkopf. Sie können ja nichts dafür... Ich hatte keine Ahnung, daß jemand in der Nähe war.«
Sie konnte nicht anders, sie mußte lachen. »Niemand wird davon erfahren, Greville — außer Inspektor Wright. Aber Polizisten sind ja zur Verschwiegenheit verpflichtet.«
Er sprang auf. »Das ist völlig unmöglich! Er lacht mich bestimmt aus. Nein, Sara, alles, nur das nicht!«
»Darf wenigstens ich ihm davon berichten? Ich würde es ganz unauffällig tun. Ich würde ihm bloß erzählen, daß Sie mich einladen wollten, sich dann aber anders entschieden und daß Sie, als Sie wieder gingen, für einen Augenblick unter meinem Fenster
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