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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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schien sie wissen zu wollen. Am Ende ließ sie ihn mit seinen Fragen einfach stehen und verwies ihn an den Schiffsarzt, der den Tod ihres Vaters festgestellt hatte.
    Geoffrey Braddock, ein noch sehr junger Arzt, der erst auf dieser Reise damit begann, auf den Ostindienfahrern Ihrer Majestät das königliche Stipendium abzudienen, das ihm sein Medizinstudium ermöglicht hatte, wusste zunächst nicht, was Daniel Thompson von ihm wollte.
    »Nun, Doktor, ich könnte auch fragen: Hat mein Vater lange gelitten? Aber erfahrungsgemäß antwortet darauf jeder normale Arzt mit Nein. Also frage ich: War es ein Genickbruch oder eine Strangulation?«
    Braddock, der diesen Sachverhalt ganz einfach nicht untersucht hatte, das aber begreiflicherweise nicht zugeben wollte, sagte: »Letztendlich ist Ihr Vater tot. Macht es da einen Unterschied ?«
    »Für ihn schon«, erwiderte Gowers und dachte an die verschiedenen Hinrichtungen, die er mit angesehen hatte.
    Er hatte Männer gesehen, die in den Tod hineinsprangen, würdelos aus dem Stand einen Meter hoch hüpften, um die Fallhöhe zu vergrößern, immer in der wahnsinnigen Hoffnung, sich auf diese Weise das Genick zu brechen. Den Tanz am Seil erlebt, ein fast fünfminütiges wildes Ausschlagen der Beine, Zappeln und Lufttreten eines siebzehnjährigen Offiziersmörders. Den selbstgefälligen, feisten Großmut eines Richters gesehen, als er Frau und Kindern eines verurteilten Sklaven die gnädige Erlaubnis erteilte, sich mit ganzem Gewicht an die Beine ihres Mannes und Vaters zu hängen, als letzten Liebesdienst. Schließlich das kreischende, schrille Gelächter der Frauen im Lynchmob der Draft-Riots, wenn den noch zuckenden schwarzen Männern die rosigen Zungen herausquollen.
    Nur einen so friedlichen Tod durch Erhängen, wie ihn der selige Samuel Thompson angeblich gestorben war, konnte er sich einfach nicht vorstellen.

22.
    Louis hatte sich mehrmals beschreiben lassen, wie der Tote dahing, denn mit Rücksicht auf die Passagiere war die Leiche, kaum entdeckt, schon im Morgengrauen entfernt worden. Er hatte Samuel Thompson nicht mehr gesehen. Aber die Tatsache, dass er hing und wo er hing, hatte ihm alles gesagt, was er wissen musste, und die einfältigen französischen Liedchen, die seine Kombüse zu einem Stück Heimat gemacht hatten, verstummten.
    Der Schiffskoch hatte verstanden. Und umgab sich seither mit Menschen, achtete peinlich darauf, dass er nie allein war, und schlief nur noch wenig. Sogar seine Notdurft verrichtete
er nicht mehr auf den dafür vorgesehenen Abtritten, sondern nachts, in Sichtweite der Rudergänger und Wachen.
    Es war der Abend nach der Bestattung und mochte Mitternacht sein, als er deswegen noch einmal hinaufmusste. Schlafmangel und die schlechte Luft im Mannschaftsquartier ließen ihn taumeln, aber die frische Brise an Deck brachte ihn zu sich, und er erledigte es rasch, während seine deutlich jüngeren Kameraden die derben alten Scherze von »Fallen-Anker« bis »Land-in-Sicht« machten. Er musste selbst lachen, und das vertrieb ein wenig die Furcht, die ihn gepackt hielt, seit er, fast gleichzeitig mit Thompson, an Bord gekommen war. Die zu Entsetzen geworden war, als Thompsons Leiche an diesem Morgen von der eingeseiften Planke in den Atlantik rutschte.
    Er ging noch eine Weile an Deck umher, denn er fühlte, wie die Nachtluft seinen Kopf wunderbar klar machte. Was, wenn er in New York von Bord ginge? Wenn er es endlich aufgäbe, hinter sich ließe, noch einmal ein neues Leben begänne? Aber dann war ihm wieder, als sähe er auf den Decksplanken eine kleine Gestalt umherstapfen, das Gespenst eines toten Mannes, das ihm in der alten, vertrauten Sprache noch einmal sein Geheimnis ins Ohr raunte.
    Gefährlich? Tödlich? Es war immer gefährlich gewesen, auch tödlich, schon als es nur eine Geschichte war und sogar ehe er selbst sie kannte. Gott allein wusste, wie viele Menschen dafür gestorben waren, es konnten Hunderttausende sein. Der Schiffskoch hatte wieder das Gefühl, auf der Spitze eines Berges zu stehen – eines Berges von Toten, deren Erbe er war. Er ließ sich neben dem Schanzkleid nieder, um nachzudenken, und erwachte, weil ein breiter Schatten auf ihn fiel, der dunkler war als die mondlose Nacht. Er fuhr hoch und hoffte, es sei nur ein scheußlicher Traum, aber dann hörte er wieder die
Stimme, die ihn zu Beginn der Reise an Bord der Northumberland begrüßt hatte.
    »Nun, alter Freund!«
    Da wusste der Schiffskoch, dass er nicht mehr

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