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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Hausherrn und Pater Familias beim Anlegen seiner Rüstung oder Entrüstung behilflich zu sein, auf dass er gewappnet wäre mit dem Schwert der Tugend und dem Schild der Rechtschaffenheit, ehe er es mit der Tochter Babylons, Tochter Sodoms ausföchte.
    Kaum allein gelassen, ließ Jane die Hand ihres Sohnes los und ging entschlossen zu einem Bücherschrank neben dem Schreibtisch ihres Vaters. Hinter Shakespeares Gesammelten Werken fand sie auf Anhieb, was sie suchte. Sie hatte es schon mit dreizehn oder vierzehn Jahren an dieser Stelle entdeckt und immer wieder genauso heimlich darin gelesen wie Ehrwürden Gowers selbst: Chaucers Canterbury Tales .
    Wie hatte er darunter gelitten, dass die englische Sprache ihren ersten literarischen Höhepunkt, ihre Ausprägung ausgerechnet mit Chaucer gefunden hatte! Die Italiener hatten Dantes Comoedia , selbst die Deutschen hatten Luthers Bibel – und die Engländer nur diese mühsam moralisch verbrämte Schwanksammlung, in der immer irgendwer in irgendein fremdes Bett stieg und die Frauen sich splitterfasernackt am Fenster zeigten, alles nur, um ihren Männern Hörner aufzusetzen. Die Ausgabe war so alt wie er, stammte tatsächlich aus seinem Geburtsjahr, und wohl deshalb – und wegen seines Namens natürlich – hatte es einst ein Kommilitone für geistreich gehalten, ihm das empörende Buch zu schenken: Für J. Gower(s), zum 25. Geburtstag und ewigen Vergnügen!
    Als ob es ein Vergnügen sein könnte, das obszöne Werk fast vierzig Jahre lang vor den Augen von Frauen und Töchtern zu verstecken!
    Jane hob ihren Rock hoch und ließ das Buch in dem Beutel verschwinden, den sie dort befestigt hatte. Gerade wollte sie auch noch den sinnreich hinter Bunyan und einer Prachtausgabe der Legenda Aurea verborgenen Tom Jones an sich bringen, als sie die Schritte ihres Vaters auf dem Flur hörte, viel eher als erwartet. Schnell trat sie ans Fenster und sah in den Garten ihrer Kindheit.
    Joseph Benjamin Gowers sah als Erstes den Jungen, seinen Enkelsohn Joseph Benjamin Williams, der allein gelassen, aber nicht ängstlich mitten im Zimmer stand und ihn zwar nicht frech, aber herausfordernd ruhig ansah. Er hat die Augen seines Vaters, dachte Ehrwürden Gowers, meinte aber eher die Art seines Vaters, denn gesehen hatte er John Williams aus Skye ja nur ein einziges Mal und von Weitem. Dass der Junge die Nase seiner Tochter hatte, war dem Pfarrer dagegen so selbstverständlich, dass ihm erst viel später einfiel, darüber nachzudenken, dass niemand sonst in seiner Familie diese Nase und dieses schwarze Haar hatte. Er selbst war über seiner Schande weiß geworden; jedenfalls behauptete er das gern vor sich selbst und dem Spiegel.

39.
    »Ja?«
    »Guten Tag, Vater.«
    »Was willst du?«
    »Mein Mann ist gestorben«, begann Jane. »Er ist im Berg verschüttet worden.«
    Zur Hölle gefahren oder doch in ihre unmittelbare Nähe, dachte Joseph Gowers in einem Teil seiner Seele, den er selbst auf der Folter verleugnet hätte. Er hatte sich die näheren Umstände mehrmals ausführlich erzählen lassen.
    »Ich habe davon gehört.«
    »Ich möchte Unterricht geben, um Geld zu verdienen für den kleinen Joseph und mich.«
    Sie wollte ihm zeigen, dass sie keinesfalls vorhatte, ihn um Geld zu bitten oder sich unter sein Dach zu flüchten, aber vielleicht war gerade das falsch. Vielleicht wäre er zugänglicher gewesen, wenn sie reumütig um Gnade und Vergebung ihrer Schuld gebeten hätte. Stolz hingegen konnte er an keiner seiner Töchter leiden, an den anderen allerdings auch nur sehr selten entdecken.
    In aller christlichen Demut hätte er akzeptiert, wenn sie seine Knie umfasst, sein Füße gewaschen und Maria Magdalena irgendwie erwähnt hätte. Davor hatte er sogar insgeheim Angst gehabt, denn dann wäre es ja an ihm gewesen, eine christliche Regung zu zeigen. So aber konnte er ihren Vorschlag, ihr hin und wieder einige Bücher aus seiner Bibliothek leihweise zur Verfügung zu stellen, damit sie den wertlosen Bälgern der Bergarbeiter Lesen und Schreiben beibringen könnte, brüsk zurück- und sie selbst mit ihrem schottischen Bastard aus dem Haus weisen.
    Und erst lange nachher, als er sich wieder einmal über die Unarten der frühen englischen Literatur aufzuregen beschloss, fand er hinter Shakespeares Werken das entsprechende Buch nicht mehr. Zuerst schoss ihm das Blut heiß ins Gesicht, denn er befürchtete, es nach der letzten Lektüre gedankenlos irgendwo liegen gelassen zu haben, sodass die

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