Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
wenn ich auf der Straße schlafen muss!«
Beth, die gleich zur Schicht musste, sah in Janes Augen; stumpfgeweinte Augen, in die selbst ihr Zorn keinen Glanz mehr bringen konnte.
»Wie lange ist er schon tot, Schätzchen?«
Janes Kehle war plötzlich genauso trocken wie ihre Augen. Was geht dich das an?, wollte sie sagen, fauchen. Aber sie krächzte nur: »Zwei Wochen.«
Beth legte ihrer Mutter, die noch immer die Tür versperrte, eine Hand auf die Schulter und zog sie aus dem Weg. »Lass es ihr, Mum, um Gottes willen. Sie kann es tagsüber hoch an die Wand stellen.«
Das Bett war ihre Zuflucht. Das Bett und ihr Junge. Sie klammerte sich nachts so sehr an ihn, dass sie am Tag manchmal Angst hatte, ihn dabei zu ersticken. Das Zimmer war ein bisschen größer als ihr Zuhause mit John. Aber dafür wohnten sie hier auch zu fünft.
Sie beide erwachten, mitten in ihrer ersten Nacht, weil Mutter Irvine einen großen Kessel mit Wasser auf den Herd setzte. Und erst als sie den Waschzuber vom Flur ins Zimmer holte, wusste Jane, dass die Alte nicht verrückt geworden war. Eine Viertelstunde später kamen Beth und Mary-Ann von der Arbeit, dreckiger und schwärzer vom Staub, als es John je gewesen war. Aber John schleppte auch keine Kohlen.
Während Mutter Irvine sich wieder in das Bett legte, das die drei sich teilten, und sofort wieder einschlief, zog Beth ungeniert vor den fremden Augen ihre Tochter und dann sich selbst aus. Mutter und Tochter wuschen sich gegenseitig den Rücken und spülten den Staub aus den Haaren. Beth hatte rotes Schamhaar und Sommersprossen sogar auf Bauch und Brüsten. Und Jane dachte zum ersten Mal seit zwei Wochen an etwas anderes als an John. »Wie kriegt man denn da Sommersprossen?« , fragte sie.
Beth lachte. »Von der Sonne, Schätzchen, logisch. Wenn ich Frühschicht habe, bade ich hier im Hof. Im Sommer braucht man da nicht mal ein Handtuch, trocknet einen die Sonne. Daher.« Sie lachte wieder. »Und wie kriegt man so eine lange Nase?«
Jane lächelte jetzt ein bisschen. John hatte sie das auch oft gefragt. Und hatte dann selbst die Antwort gegeben, die Jane jetzt ihrer neuen Freundin gab: »Man steckt sie in Bücher!«
»Kannst du lesen?«, fragte Beth.
Jane nickte.
»Das ist fein. Da kannst du es Mary-Ann beibringen und vielleicht sogar mir.«
»Ich weiß nicht, ich habe ja keine Bücher. Ich habe nur …« Jane hatte nur ihre Bibel, aus der sie John manchmal vorgelesen hatte. Die Bücher Samuel, das Hohe Lied und den Prediger. Und plötzlich stand ihr die Bibliothek ihres Vaters vor Augen.
»Aber ich weiß, wo ich welche herbekomme!«, sagte sie.
38.
»Ja?«
Es war ihre Schwester Alexandra, die die Tür öffnete und mit ihrem wohlproportionierten Körper sofort die Schwelle blockierte, über die Jane so oft gegangen war.
»Ich möchte Vater sprechen.«
»Vater ist für dich nicht zu sprechen.«
»Dann möchte ich Reverend Gowers sprechen.«
Alexandra warf ihr einen so durchdringend bösen Blick zu, wie es nur eine zwei Jahre ältere und weitaus hübschere Schwester tun konnte, die nie verstanden hatte, warum ihr Vater die jüngere, kleine, dürre Jenny mit der großen Nase vorgezogen hatte.
»Hast du Vater nicht schon genug gequält? Was willst du?«
»Ein paar Bücher stehlen, die silbernen Löffel und deine Tugend!« Jane konnte so böse sein wie ein Dachs, und sie wusste natürlich genau, wie sehr die hübsche blonde Alexandra darunter litt, noch keinen wirklich ernst zu nehmenden Bewerber ihr Eigen zu nennen.
»Willst du eine Szene machen?«
»Nein. Es sei denn, du zwingst mich dazu.«
Ben spürte, wie die Hand seiner Mutter seine eigene immer fester umklammerte, so fest, dass es wehtat. Er schrie nicht, jammerte nicht, sah nur fragend und fast ein bisschen verblüfft zu ihr hoch. Aber da öffnete die fremde Frau die Tür und ließ sie ins Haus, und der Griff lockerte sich ein wenig.
»Vielen Dank«, sagte Jane.
Ihre Schwester hüllte sich in ein eher beleidigtes als bedrohliches Schweigen und wies ihr mit dem Finger den Weg in die Bibliothek, als wenn sie den Weg nicht tausendmal gegangen
wäre. Das etwas verspätete Einschnappen mehrerer bisher angelehnter Türen verriet ihr, dass die ganze Familie von ihrem empörenden Auftauchen wusste und nun aufgeregt tuschelnd beratschlagte, wie man die ungebetenen Gäste schnell wieder loswerden könnte.
»Warte hier!«, befahl Alexandra in der Bibliothek, dem Arbeitszimmer des Pfarrers, und ging hinaus, um dem
Weitere Kostenlose Bücher