Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Verfall der Plantagen.
Gowers begegnete dem Südstaatler zwar nicht mit Hass, aber doch mit Misstrauen, bis ihm auffiel, was ihn an der Situation so irritierte: Er hatte auch Deborah nicht belügen können. Nicht durch Reden und nicht durch Schweigen. Seltsam, dass nun ausgerechnet ein Sklavenhalter, ein Feind, das gleiche Gefühl in ihm auslöste.
Van Helmonts Mundharmonika erzählte ein bisschen zu elegisch, ein bisschen schief von den Streets of Laredo und erinnerte Gowers an eine alte schottische Melodie, die seine Mutter gesungen hatte: The Unfortunate Lad . Er war nahe daran mitzusummen, aber da klopfte der Arzt das Instrument in der linken Hand aus, schnallte sein Bein wie immer unter der Bettdecke ab und lehnte es an den Bettpfosten. Ein prachtvolles Bein, nicht einfach ein Holzpflock, sondern ein wirklich geschnitztes und kunstvoll zusammengesetztes künstliches Bein, das sogar eine Federmechanik besaß, die es ihm nach einiger Übung ermöglichte, fast ohne Humpeln oder Nachziehen zu gehen.
Gowers, der die Prothese anfangs mit dem instinktiven Misstrauen des Zweibeiners betrachtet hatte, nahm Van Helmonts herrenloses Bein an diesem Abend in die Hand, wog
es, bewunderte den ausgeklügelten Mechanismus im Gelenk und sagte: »Eigentlich eine feine Sache. Wo ist das Original geblieben?«
»Shilo«, knurrte Van Helmont und machte nicht den Eindruck, als ob er darüber reden wollte.
»Shilo«, wiederholte Gowers und wartete, obwohl er nicht sicher war, ob er es wissen wollte.
Schließlich setzte der Arzt sich in seiner Koje auf. »Ich fühle es immer noch manchmal jucken. Hab es verdammt noch mal selbst abgeschnitten, weil gerade kein anderer da war.« Er zog die Decke vom Stumpf. »Ein ziemlicher Pfusch. Hatte leider noch nicht die Erfahrung von später. Fühlen Sie mal!«
Gowers betastete vorsichtig den Stumpf und fühlte kleine Beulen und Dellen, die jedem Fachmann wahrscheinlich ein missbilligendes Grunzen entlockt hätten. Er überlegte nur kurz. Dann richtete er sich auf, drehte sich um und ließ Hose und Unterhose herunter.
Van Helmont betrachtete erst verblüfft, dann interessiert das Hinterteil seines Genossen und ließ einen Pfiff der Bewunderung hören. Über die ganze Länge der rechten Hinterbacke, von der Hüfte bis zum Oberschenkel, zogen sich Bahnen weißer Narben, Spuren einer Verletzung, die einmal tief durch den Muskel gegangen sein musste.
»Auch ganz nett«, befand er. »Und eine bildschöne Stelle. Schrapnell?«
»Nein«, sagte Gowers und zog die Hosen wieder hoch. »Eisbär.«
Der Arzt lachte, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sagte: »Erzählen Sie!«
37.
Ihr Zuhause war ein einziges Zimmer gewesen, etwa zwölf Quadratmeter, im Haus eines Steigers. Ein Herd, ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrank aus Johns Junggesellenzeit, in dem nicht nur Kleidung und Wäsche, sondern auch das wenige Geschirr und sonstige Habseligkeiten Platz finden mussten. Das Bett hatte er selbst gebaut.
In diesem Zimmer verbrachte Jane die drei glücklichsten Jahre ihres Lebens. Es zu verlassen brach ihr das Herz. Das Fenster, durch das sie ihn morgens weggehen und abends zurückkommen sah. Die Tür, die so dünn war, dass sie sämtliche Lebensäußerungen der Familie Peters mit anhören konnten. Deren Ritzen sie verstopften, wenn sie sich liebten. Die sich jetzt zum letzten Mal für sie öffnete.
»Sind Sie so weit?« Der Ingenieur Nelson persönlich. Bob Liddell, ein Schotte, Freund und Kollege von John. Der jüngere Peters, ein fünfzehnjähriger Junge, der sie einmal beim Baden beobachtet hatte und dafür zuerst von John, dann von seinem Vater und schließlich noch von seiner Mutter verprügelt worden war. Einmal fürs Gucken, einmal fürs Erwischtwerden und einmal fürs Onanieren.
»Was ist es?«
Es war der Schrank, Johns Schrank und sein Inhalt. Es war eine Kiste mit seinen alten Kleidern und der Bettwäsche. Und es war das Bett selbst.
»Das Bett nicht. Das Bett passt da nicht mehr rein!«
»Ohne das Bett gehe ich nicht weg.«
»Wo soll denn das noch hin? Das ist nicht Buckingham Palace!« Mutter Irvine hatte ein hartes, hageres Gesicht und
schneeweiße Haare. Noch nicht fünfzig, war sie doch bereits eine alte Frau. Ihre Tochter Beth war sechsundzwanzig Jahre alt, rothaarig, sommersprossig und verwitwet wie Jane. Ihre Tochter Mary-Ann war neun und ihr kleineres Ebenbild, nur etwas hübscher.
»Das passt hier nicht rein!«
»Ohne das Bett ziehe ich gar nicht erst ein, und
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