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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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öffnete sich, unwillkürlich kaute und schluckte er. Der Kaiser speiste natürlich an der Tafel des Admirals, des Kommandanten, der höchsten britischen Offiziere. Ein einfacher Seemann, Sohn eines Kesselflickers oder Maultiertreibers, an diesem, an seinem Tisch – eher würde England im Meer versinken!
    Glücklicherweise schien der Bootsmann ähnlich zu denken, ja, er fing sich sogar schneller als sein so unerreichbar weit über ihm stehender Vorgesetzter. Dafür würde er eine Sonderration Rum bekommen, beschloss Cockburn.
    »Entschuldigung, General …«
    Ha, General, dachte Cockburn, nicht Sire oder Kaiserliche Majestät! Noch ein Glas Rum.
    »Es wäre nicht richtig, wenn ein Mitglied der Mannschaft mit den Herren der Admiralität vom gleichen Tisch isst.« Der Bootsmann sagte das, als sei es eines der Zehn Gebote, nicht umzustürzen, und Cockburn bewunderte den Kerl für diese fabelhafte Haltung. Wahrhaftig, ein echter Sohn des John Bull! Und heute Abend sinnlos betrunken.
    »So?«, sagte Napoleon langsam. »Na ja, da kann man natürlich nichts machen. Dann also nur wir beide, in meiner Kajüte. Sagen wir um acht?«
    Der Boden um den Admiral wankte, der Horizont drehte sich. Der Kaiser der Franzosen würde mit einem Bootsmann zu Abend essen und ihn, ihn , den ranghöchsten britischen
Offizier, Vertreter seines siegreichen Königs auf diesem Ozean, dieser Erdhalbkugel, den Obersten der Oberen, an seiner reich gedeckten Tafel sitzen lassen wie einen Vollidioten! Die Zeitungen würden es bringen, die Geschichtsbücher …
    »Entschuldigung, Sire, General Bonaparte«, stammelte Cockburn, in den Grundfesten seines Denkens erschüttert, »ich glaube, wir können in diesem Fall eine Ausnahme machen und diesen braven Mann in unserer Mitte dulden.«
    Die Sache war binnen Minuten auf dem ganzen Schiff herum, tausend Männer sprachen von nichts anderem mehr.
    Natürlich, er war immer noch Little Boney , das Ungeheuer, mit dem schon ihre Mütter sie erschreckt hatten, wenn sie ihren Teller nicht leer essen wollten. Der widerliche Emporkömmling, der ganze Länder dem Erdboden gleichmachte, der tausendfache Mörder von Frauen und Kindern. Aber er war auch der Mann, der die Prügelstrafe in der französischen Armee abgeschafft hatte, der symbolisch den Stock eines Korporals auf seinem Knie zerbrach. Der bei Arcoli seinen verhungernden Männern gesagt hatte, dass jeder, jeder von ihnen den Marschallstab im Tornister trüge. Le petit Caporal , vor dem seine Soldaten eine lebende Mauer gebildet hatten, als er sich auf der Brücke von Lodi zu weit ins Feuer der Österreicher gewagt hatte, in dessen Diensten ein Bauernjunge, Joachim Murat, vom einfachen Reiter bis zum König von Neapel aufgestiegen war!
    Ein seltsamer Glanz trat in die Augen der britischen Matrosen und Mannschaften, wenn sie die kleine Gestalt in ihrem grünen Mantel an Deck der Northumberland herumstapfen sahen. Und Admiral Cockburn, der sich in seinen schlechteren Träumen schon mit verbundenen Augen, gefesselten Händen und einer unangenehm kitzligen Säbelspitze im Rücken auf
einer Planke über dem Wasser stehen sah, fragte sich wieder einmal, was ganz Europa sich fragte.
    Dieser Mann hatte zwanzig Jahre lang Frankreich, Spanien, Italien, Holland, Preußen, Österreich, Russland und natürlich Ägypten ausgeplündert. War nichts davon übrig? Wo war der immense Reichtum Napoleons geblieben?
    Und was könnte er schlimmstenfalls an Bord dieses Schiffes alles damit anfangen?!

58.
    Gowers hatte ihm auf den Meter genau die Stelle bezeichnet, an der er sich direkt unter der mittleren der drei Kabinen befinden würde, in denen die ominösen Inder schliefen, wohnten und aßen, ohne sich seit Portsmouth irgendjemandem zu zeigen. Er hatte sogar seine Schrittlänge gemessen.
    »Wie, Sie wissen nicht, wie groß Ihre Schritte sind?! Woher wollen Sie dann wissen, wie schnell Sie von hier nach da kommen? Wo Sie sind, wenn Sie nichts sehen können? An was orientieren Sie sich bloß?«, hatte der Investigator kopfschüttelnd gefragt. Seit frühester Kindheit war er gewohnt und hatte er von seiner Mutter gelernt, seinen Körper als Maßeinheit zu benutzen. So zählte er auch, fast schon unbewusst und während er ganz andere Dinge in seinem Kopf bewegte, seine Schritte, registrierte Kurven, Ecken, Winkel auf seinem Weg wie ein Automat, und konnte auf diese Weise auch in gänzlich unbekannten Gebäuden oder Städten bemerkenswert zuverlässig einschätzen, wo er sich

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