Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
englischer Veteran, der freiwillig auf diesen einsamen Felsen im Atlantik gekommen war, um den Kaiser zu sehen. Und der nur noch sein Grab fand, unter einer uralten Weide, und Longwood House verlassen, Napoleons Zimmer ein Schafstall, der Garten, in dem die letzten Kämpfe des großen Feldherrn der Hervorbringung von Zwiebeln und Kohlrabi gegen eine übermächtige Natur gegolten hatten, vom Vieh zertrampelt.
Der Sergeant war gekommen – aber das wusste niemand –, um diesen Mann zu töten, und er blieb, um sein Grab zu bewachen.
Er war gekommen, weil er zur Division Alten gehört hatte und Napoleon erzählen wollte von den dreitausend Mann, die bei La-Haye-Sainte zusammengehauen wurden, während ein
schottischer Pfeifer bis zuletzt seinen Pibroch spielte. Von den immer kleineren Karrees der jungen englischen Infanteristen auf dem Hügel von Mont-Saint-Jean , über die die gesamte französische Kavallerie hergefallen war. Von seinen Kameraden, die unter den Pferdekadavern zerquetscht wurden, von Eingeweiden und Blut und umherfliegenden Gliedmaßen, wenn wieder eine Kartätschenladung ihr Ziel gefunden hatte. Und von den Schreien, die er immer noch hörte.
Sie hatten standgehalten, er und seine Kameraden, standgehalten den Kartätschen, den Kürassieren, dem wahnsinnigen letzten Ansturm der Alten Garde. Standgehalten den Männern, die Europa überrannt hatten von Spanien bis zum Ural – aber nicht sie, an diesem regnerischen Tag, auf diesem durchweichten Hügel in Belgien! Sie waren nur noch wenige, verzweifelt wenige, und von denen, die am Morgen mit ihm ausgezogen waren, stand nicht ein Mann mehr, aber sie waren nicht zurückgewichen.
Und im Namen von vierzigtausend Toten, Engländern, Schotten, Holländern, wollte er diesem einen Mann ins Gesicht schreien, was ihm anscheinend und eigenartigerweise niemand wirklich gesagt hatte; das alte Wort, das alle Kämpfe beendete, das Stille schaffen würde in seinem Kopf und das Napoleon nie gehört hatte: besiegt!
Er saß lange an diesem Grab, diesem kleinen Stein unter der Weide am Ende der Welt. Und kam wieder am nächsten Tag. Und am dritten riss er das Unkraut aus zwischen den Blumen auf dem Hügel seines großen Feindes, mit der Hand, die ihm geblieben war. Er erzählte Napoleon von der anderen, der blutigen, die auf dem fernen Feld lag, bei Waterloo vermodert war oder gefressen von den Hunden. Die Hand, die seine Frau und sein Kind gestreichelt hatte und ihnen beiden die Augen schließen musste an einem noch ferneren Tag.
Der Sergeant rauchte seine alte Pfeife und saß an die Weide gelehnt und erzählte dem Kaiser das alles, und der Kaiser antwortete leise, wisperte, war der Wind in den Zweigen, der ihm manchmal den Rauch von den Lippen blies, neunzehn Jahre lang.
Sein Haar wurde weiß auf der langen Wache, und während Longwood House immer mehr verfiel, blieb der kleine Friedhof im Geraniumtal, wie er war. Und so mancher vorwitzige Matrose, Walfänger, der gekommen war, »um auf Boneys Grab zu spucken«, ging wieder mit dem Hut in der Hand oder der Mütze unter dem Kinn, in die das Blut aus seiner gebrochenen Nase tropfte.
Diesmal aber hätten ihm auch zwei Fäuste nichts genützt. Frankreich kam, um seinen Feind wegzuholen, und Frankreich hatte ein größeres Recht an dem Toten. Millionen Franzosen und nicht zuletzt die Geschichte warteten dort auf einen Nationalhelden.
Ihr letztes Gespräch war der Regen, der an diesem Tag heftig und ohne Pause fiel, aus dem dunklen Himmel über Hutt’s Gate, und auf den namenlosen Stein trommelte, als sollten die Toten erwachen. Der Sergeant trat zurück und salutierte, als die Franzosen kamen.
Der Prinz von Joinville machte ihm ein Geldgeschenk, aber er ging, der Sieger von Waterloo, über den steilen, schlammigen Weg zurück zum Meer und zum Hafen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
90.
Gowers war gerade im Beiboot aufgestanden, als die Salutschüsse losdonnerten. Die Kolonie war vollzählig angetreten, eine kleine Tribüne aufgebaut, Fähnchen wurden geschwenkt, zwei Dutzend Soldaten präsentierten das Gewehr, und ein Kinderchor sang Hail the conquering Hero comes , kaum dass der Salut verraucht war.
»Die Eingeborenen freuen sich aber anscheinend mächtig, Sie zu sehen«, raunte ihm Van Helmont ins Ohr, und tatsächlich: Seit eben einer der Matrosen im vorderen Boot mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte, waren alle Blicke Gowers zugewandt. Noch auf dem hölzernen Kai überreichte ein kleines Mädchen ihm
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