Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
nun beinahe reizend aus.
»Dann bringen Sie Ihren Helden heute Nacht in eine weniger kriegerische Stimmung«, sagte Van Helmont grob.
»Oh!« Emmeline errötete heftig, überlegte kurz, ob das eine Beleidigung sei, kam aber dann zu dem Schluss, dass ein Arzt gelegentlich derart deutliche Worte sagen dürfe, sozusagen als medizinischen Ratschlag. Und nur um zu zeigen, dass sie es nicht übel nahm, machte sie einen letzten Versuch: »Und wenn Sie mit dem Kapitän sprechen?«
»Wenn wer mit dem Kapitän spricht?«, ertönte die bärbeißige Stimme eines Mannes, der sich ihnen von hinten genähert hatte, ohne dass sie es merkten.
»Oh, Sir«, sagte Emmeline, die sich seit ihren Zusammenstößen wegen des Selbstmords oder Nichtselbstmords ihres Vaters vor dem Herrn des Schiffs ein wenig fürchtete und ihm nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen war. »Doktor Van Helmont hier!« Sie lächelte verlegen, während Van Helmont sekundenlang die Augen verdrehte. »Ich werde dann mal nach Charles sehen!«
Die beiden Männer sahen ihr wortlos hinterher.
»Sie wollen mich sprechen?«, brummte der Seemann schließlich.
»Ja«, seufzte Van Helmont, »es geht um Mr. Thompson …«
Als hätte er nur auf die Erwähnung dieses Namens gewartet, verdrehte nun Kapitän Radcliffe die Augen, nahm gewissermaßen Abwehrhaltung ein und sagte möglichst bissig: »Ach was? Ist er wieder über Bord gegangen? Will er heiraten? Oder sich aufhängen?« Mit einem tiefen Ausatmen, das von Resignation
kündete, gab Radcliffe dann ganz plötzlich seine kämpferische Haltung auf. »Wissen Sie eigentlich, wie oft dieser Name schon im Logbuch steht?!«
»Leutnant Carver«, sagte der Arzt, »der junge Mann, den Sie neulich getraut haben, nun, er will sich mit Thompson duellieren. Ihn umbringen, Sie verstehen?«
»Und ob!«, sagte der Kapitän nach einer Sekunde ehrlicher Verblüffung und fügte ironisch hinzu: »Ein wackerer Entschluss. Ich hatte auch schon daran gedacht.«
»Es ist leider ernst, Sir. Können Sie irgendetwas tun? Oder verhindern?«
Radcliffe fasste sich. »Hier auf dem Schiff, ja!« Dann deutete er auf St. Helena, die gelben Felsen der Bai von Jamestown und sagte knapp: »Auf dem Felsen da, nein. So leid es mir tut. Informieren Sie mich gelegentlich über das Ergebnis!« Er stapfte davon und schien aus ganzer Seele zu hoffen, möglichst bald wieder auf der offenen See zu sein.
»Das wird hoffentlich nicht nötig sein«, murmelte Van Helmont und dachte an den Plan, den Lucia Elizabeth Abell sich ausgedacht hatte.
95.
Der Kaiser in seinen vier Särgen wog über eine Tonne, eintausendzweihundert Kilo, und zwei Pferdegespanne und dreiundvierzig Soldaten waren nötig, um ihn über die aufgeweichten, schlammigen Wege bis nach Jamestown zu bringen. Die Schaluppe der Belle-Poule wäre beinahe gesunken, als man den Sarg mit dem großen N auf sie hinunterließ – was für ein Ende dieses patriotischen Unternehmens, während alle Kanonen auf See und an Land Salut feuerten und der einzige Sonnenstrahl
dieses trüben Oktobertages 1840 durch die Wolken brach und Napoleons Abschied von St. Helena in ein gleißendes, aber auch gespenstisches Licht tauchte.
Auf den Schiffen waren alle Männer an Deck, hingen in der Takelage, hatten ihre besten Uniformen an, als ob der Kaiser sie sehen könnte, und verfolgten, wie die Schaluppe mit ihrer schweren Last unter einer riesigen Trikolore durch die kleine Bucht auf die Belle-Poule zuhielt. Eine einzelne Trommel schlug, und ohne dass irgendjemand den Befehl dazu gegeben hatte, stieg der alte Schrei in den Himmel, den die Welt seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gehört hatte, erst vereinzelt, dann aus vielen tausend Kehlen, hallte wider von den kahlen Felsen, die den Mann einst verschluckt hatten.
»Vive l’Empereur! – Es lebe der Kaiser! Es lebe Frankreich! Es lebe der große Napoleon!«
Bertrand, Gourgaud, Marchand, die letzten Getreuen, alte Männer, die gekommen waren, ihren toten Herrn heimzuholen, weinten in diesem Moment. Hatten nicht geweint, als der innerste Sarg aus seinem kleinen Grab im Geraniumtal wieder aufgetaucht war. Nicht, als er geöffnet wurde und sie das wächserne Antlitz der Leiche sahen, die weißen Zehen, die aus den aufgeplatzten Stiefeln ragten, die der Kaiser bei Waterloo getragen hatte.
Den Säbel von Waterloo bekam später Bertrand geschenkt, von Louis Philippe persönlich, auf den Stufen des Invalidendoms. Oder jedenfalls einen der Säbel von Waterloo. Es gab
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