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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Menschen es je erleben. Liebe war eine exklusive Veranstaltung, zu der John Gowers keinen Zutritt mehr hatte. Eigenartigerweise fühlte er sich deshalb nicht einsam, eher erleichtert.
    Der Verlust seiner Mutter hatte ihn schon als Kind derart brutal auf sich selbst zurückgeworfen, dass er das Alleinsein für den natürlichen Zustand des Menschen hielt. Schiffsgemeinschaft, ja, Kameradschaft, vielleicht sogar Freundschaft, mit McClure oder Anderson – all das hatte den Kern seiner Persönlichkeit nicht berührt, bis ihn Deborah berührte. Aber selbst ihr Tod hatte dies unerwartete Glück nicht in Einsamkeit, sondern nur in unbändigen Hass auf ihre Mörder verwandelt, gepaart mit einer dumpfen Erleichterung, nun nie mehr etwas verlieren zu können. Was ihn ansonsten mit Frauen verband,
an Frauen anzog, betrachtete er lediglich als eine körperliche Notwendigkeit, von einer widernatürlichen, puritanischen Moral und ihren bigotten Verfechtern in Schatten und Scham verdammt, als sei sie weniger wert als Essen und Trinken.
    Der Investigator hatte mit vielen Frauen geschlafen, seit er als sehr junger Mann sein Geschlecht entdeckt hatte, meist allerdings mit solchen, die er dafür bezahlen musste. Physische Reize und ihre Befriedigung, körperliches Wohlbefinden also, zu kaufen erschien ihm als ein Handel wie jeder andere auch. Zwar hatte er bald festgestellt, dass es ihm mehr Spaß machte, wenn es den Frauen gefiel, aber genau genommen blieb es für ihn nur eine Art Fortsetzung der Beschäftigung mit seinem eigenen Körper.
    Bei den wenigen Frauen, die keine Huren gewesen waren, hatte ihm das ganze umständliche Drumherum nicht gefallen, das Schöntun, Hofmachen, lange Gerede, die Zimperlichkeit, das Löschen sämtlicher Lichter. War er ein Dieb? Ein Räuber? Warum wurde er so behandelt? Das Ganze kam ihm vor wie ein dummes Spiel, als er herausfand, dass die Frauen es letztlich darauf anlegten, auf diese Weise beraubt zu werden; als würde sie das von aller Schuld freisprechen, mit der ein ganzes Zeitalter der Heuchelei den Geschlechtsakt belastete. Danach wollten sie dann geheiratet und versorgt werden und weinten, wenn John Gowers klarmachte, dass er unter diesen Umständen immer ein Dieb bleiben würde.

99.
    Sie hatte mit ihm geschlafen wie ein Kind, das ein neues Spielzeug ausprobiert. Neugierig, ein bisschen unsicher zuerst, aber dann mit einer wilden Unermüdlichkeit, die ihn am Anfang erfreut und am Ende erschreckt hatte.
    »Ich liebe dich nicht«, waren ihre letzten Worte, bevor sie eingeschlafen war, nackt, mit dem Rücken an seinen Körper geschmiegt, und beides hatte ihn die halbe Nacht wach gehalten. Sie liebte ihn nicht. War das ein Zugeständnis, dass sie nichts von ihm erwartete, oder eine Warnung, dass auch er nichts erwarten durfte? Erst als er ein Ohr zwischen ihre Schultern gelegt hatte, ihr Herz schlagen hörte, ihre nachtwarme Haut riechen konnte, fühlte, wie sich der schmale Körper mit den ruhigen Atemzügen bewegte, war der Investigator in einen kurzen, traumlosen Schlaf gefallen.
    John Gowers war sehr verwirrt an diesem Morgen. Nicht nur wegen der Informationen, die Lucia ihm irgendwann in der Nacht anvertraut hatte: wie sie anderthalb Jahre zuvor die Northumberland untersucht und vermessen hatte und was und wer ihr dabei aufgefallen war. Auch wegen der Nacht selbst. Er konnte ihr nicht geben, was sie gleich nach dem Aufwachen noch einmal von ihm verlangt hatte, und brachte auch keinen Bissen Frühstück herunter. Gowers war nicht gewohnt, dass eine Frau ihn behandelte, wie er Frauen behandelte. Außerdem bestand, trotz des skurrilen Plans, den Lucia sich ausgedacht hatte, die einigermaßen reale Möglichkeit, dass er die nächsten beiden Stunden nicht überleben würde. Außer ihm selbst schien diese Gefahr jedoch niemanden wirklich zu beunruhigen, was noch erheblich zu seiner Verwirrung beitrug.
    Er sah entsprechend schlecht aus, als Van Helmont eintraf. Der Arzt hatte den Aufenthalt auf St. Helena endlich einmal wieder in Begleitung seiner Pfeife und einer kleinen Kiste Virginia-Tabak verbracht, deren Existenz er aus durchsichtigen Gründen vor dem Investigator geheim hielt.
    »Bin ich zu spät?«, fragte er ganz im gewohnten Lästerstil. »Sie sehen aus, als hätten Sie das Duell schon hinter sich!«
    Lucia lachte hell auf, was Gowers reichlich obszön fand. Überhaupt gefiel sie ihm an diesem Morgen schon nicht mehr so gut. Aber das ging ihm immer so.
    Er saß neben den beiden

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