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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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sich sogar auf dem Vorschiff herum, umschlich die Matrosen wie eine schwarze Katze und lauerte auf solche Wörter, hörte aber meist nur ein paar andere, die sie ebenso wenig verstand.
    Nach dem gemeinsamen Nachmittagsgebet sonderte sie sich wieder ab, schlenderte auf dem Schiff herum und schlüpfte schließlich in seinen Bauch. Stieg ein paar Niedergänge hinunter und kroch schließlich auf allen vieren durch eine niedrige Luke, die sie offen fand und bisher gar nicht bemerkt hatte. Hier unten war alles in eine merkwürdig dumpfe Dämmerung getaucht. Sie sah einen staubigen Lichtstrahl am anderen Ende des kleinen Stauraums, ging näher heran, um ihn sich anzusehen und wäre beinahe über die Leiche gestolpert.
    Der Mann kauerte am Boden, sein Hemd war über den Kopf, seine Hose heruntergezogen, schwarze Striemen, geronnenes Blut bedeckten den nackten Rücken und sein Gesäß. Maude erschrak furchtbar, aber sie schrie nicht. In der Bibel kamen noch ganz andere Sachen vor. Ihr Vater hatte es ihr vorgelesen, noch ehe sie laufen konnte. Und deshalb sah sie sich die Leiche erst sehr genau an, ehe sie wieder zurück zu der kleinen Luke ging, durch die sie gekommen war. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte und genau hinsah, konnte sie die Leiche auch von hier aus erkennen. Sie räusperte sich und schrie dann gellend um Hilfe.
     
    Oben hatten sich Emmeline und ihr Gatte, Van Helmont und Gowers gerade erst in der Kabine der jungen Eheleute zusammengesetzt, weil die Carvers uneingeschränkte Aufklärung über den Stand der Ermittlungen verlangt hatten. Gowers hatte aber noch nicht mehr getan, als die simpelsten Fakten zusammenzufassen, als sich draußen lautstarke Aufregung erhob. Er vertröstete die Anwesenden mit einer Handbewegung und steckte rasch die Nase an Deck.
    »Was ist los?«, fragte er einen der vorbeistapfenden Matrosen.
    »Gottverdammt!« Das Schicksal wollte, dass es Midshipman
Gore war. »Einer hat ihn gekillt, Sir! Gottverdammt! Einer hat den Jungen gekillt, unsern George!«

104.
    Gowers hatte gerade den Fundort untersucht und überlegte noch, wie er nahe genug an die Leiche herankommen könnte, als Braddock schon an die Tür klopfte.
    »Äh … Guten Tag, Mr. Thompson. Könnte ich wohl Doktor Van Helmont sprechen?«
    Natürlich durfte der Investigator als »Van Helmonts Assistent« an der Obduktion teilnehmen, die im Quartier des Schiffsarztes auf einem niedrigen Behandlungstisch stattfand. Ein paar Matrosen hatten George in Braddocks Obhut gegeben, nicht weil sie glaubten, dass noch medizinische Hilfe nötig oder möglich sei, sondern weil schließlich irgendwas mit dem Jungen geschehen musste.
    Die Leichenstarre war schon so weit fortgeschritten, dass der Körper sich vorläufig nicht mehr aus seiner zusammengekauerten Haltung bringen ließ. Es war deshalb ein sehr unwürdiger Anblick, als der Schiffsarzt das weiße Tuch wegnahm und George Barclay halb nackt und mit angezogenen Beinen auf dem Tisch lag wie ein überdimensionaler Säugling.
    »Schneiden wir erst mal die Sachen runter«, sagte Van Helmont so sachlich wie nur je ein Mann, der schon Tausende kalter, toter Körper gesehen hatte.
    »Moment!« Gowers untersuchte zuerst den Gürtel, die Hose, die Haut an den Hüften, den unteren Rand des Hemds. »Nichts zerrissen, keine Kratzer«, murmelte er und stellte mit einem raschen Blick zu Van Helmont fest: »Er muss sich selbst ausgezogen haben.«
    Während Braddock noch über den Sinn dieser Worte nachgrübelte, seufzte Van Helmont wie jemand, dem die unangenehmste Aufgabe des Tages bevorsteht, trat dann dicht an die Leiche heran und nahm eine Stelle in Augenschein, die der Schiffsarzt gar nicht oder doch erst sehr viel später näher untersucht hätte.
    »Keine Penetration!«, sagte Van Helmont nach einer Weile knapp, und Braddock merkte sich mit ernstem Nicken Worte und Handlung für die kommenden Obduktionen seiner medizinischen Praxis – wo beides für viele ungläubige und entrüstete Blicke sorgte, vor allem wenn es sich bei den Leichen um die würdigen Überreste eines Richters, Kaufmanns oder Bürgermeisters handelte.
    Sie entfernten die Kleider mit einer Schere und den entsprechenden Umständen. George Barclays Gesicht tauchte auf, seine Augen waren weit geöffnet und aus den Höhlen getreten. Van Helmont zog an dem heraushängenden Ende des schmutzigen Lappens in seinem Mund, aber die toten Kiefer hielten ihn fest, und die ganze Leiche bewegte sich wippend, sooft der Arzt

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