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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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anzog.
    »Da hat er sich ganz schön drin verbissen!«
    »Ist das wichtig?«, fragte Braddock, während Van Helmont einen großen Metallspatel aus der Instrumentenkiste nahm, um dem Toten den Mund aufzubrechen. Gowers erklärte es ihm.
    »Das bedeutet, dass er sehr wahrscheinlich erst verprügelt und dann getötet wurde. Er hat sich den Schmerz verbissen.«
    Mit einem widerlichen Knirschen öffneten sich die Kiefer, der Arzt entfernte das Tuch und verhinderte mit seinem Spatel geschickt, dass sich der Mund wieder schloss.
    »Blut in der Mundhöhle«, sagte er brummend und schob
mit zwei Fingern die Zunge hin und her. »Die Zunge ist an den Rändern zerbissen und sehr weit herausgetreten. Das kann eigentlich nur bedeuten …« – ein kurzer Blick in den Rachen und ein längerer auf Hals und Nacken des Toten bestätigten den Verdacht – »… der arme Junge ist erwürgt worden.«
    Van Helmont trat nach Feststellung dieses ersten und wesentlichsten Ergebnisses zurück und überließ es Gowers, die Hände und Fingernägel des Opfers zu untersuchen. Ein helles Knacken verriet ihm, dass auch das nicht ohne Gewaltanwendung möglich war; die Finger waren ineinander verklammert wie bei einem Betenden und die Hände an den Gelenken so stramm gefesselt, dass sich an beiden Seiten bläuliche Hautwülste gebildet hatten. Gowers nahm sich mithilfe einer Lupe jeden Finger einzeln vor.
    »Nichts«, sagte er. »Keine Haut, kein Blut, nur Schiffsdreck. Er scheint sich nicht sehr gewehrt zu haben.«
    »Drehen wir ihn um«, sagte Van Helmont, und eine halbe Minute später hockte der Schiffsjunge auf dem niedrigen Tisch wie ein toter Frosch. Mit einer Handbewegung ließ Van Helmont diesmal dem jungen Braddock den Vortritt, weil der sich offenbar allmählich überflüssig vorkam.
    »Schläge auf Rücken und Gesäß«, konstatierte der Schiffsarzt mit der fachmännischen Kürze, die er an den anderen so bewundert hatte, aber das hätte auch ein Blinder sehen beziehungsweise an dem kalten Körper ertasten können. Die Striemen waren blauschwarz geschwollen von dem unter der Haut zusammengeströmten Blut.
    »Hautverletzungen?«, fragte Van Helmont.
    »Nur wenig«, erwiderte Braddock. »Und das sind eher Kratzer, jedenfalls ist nichts richtig aufgeplatzt.«
    »Also eine Gerte oder eine leichte Peitsche«, murmelte Gowers. »Wie breit sind die Striemen?«
    »Eher schmal«, sagte Braddock. »Ich würde auf eine Peitsche tippen.«
    »Gute Arbeit!« Van Helmont drückte seinem jungen Kollegen die Hand und deckte den Leichnam wieder ab. Gowers war der Letzte, der ihm in die Augen sah. George Barclay hatte alles gesagt, was er noch sagen konnte.

105.
    Seine Lordschaft bemerkte eine deutliche Abkühlung im gesellschaftlichen Umgang an Bord. Kaum jemand sprach noch mit ihm, viele drehten ihm einfach den Rücken zu und schnitten ihn ganz offen. Er lachte nur darüber.
    In Cambridge war es ähnlich gewesen, zum Schluss, aber es hatte stärker geschmerzt. Dort war seinesgleichen ihm aus dem Weg gegangen, hatten ihn Peers, die schönsten Früchte der hohen und mittleren Aristokratie, geschnitten. Hier waren es Commons, niederes Volk, ein paar Kaufleute, Offiziere, deren kaltes Schweigen der junge Lord eher als die allgemeine Sprachlosigkeit dieser Klasse ansah. Nach der Meinung der Seeleute schließlich fragte er genauso wenig, wie er nach der Meinung der Fische gefragt hätte, die zum Dinner auf seinem Teller landeten und ihn aus toten Augen anstarrten. Bis zu diesem Abend.
    Eden war in der Messe gewesen, hatte dort wieder keine Ansprache gefunden, durch sein spöttischstes Lächeln zu verstehen gegeben, wie wenig ihm das ausmachte, und gemütlich für sich eine Flasche Port geleert. Es war kaum später als neun Uhr abends und der Himmel noch relativ hell, als er die Messe verließ und nicht bemerkte, dass der Steward die Tür hinter ihm abschloss.
    Die See war rauer geworden, aber da sich sein Magen schon lange an die Schaukelei gewöhnt hatte, sah er das Gewimmel der hochgehenden Wellen nicht ungern, spürte auch angenehm berührt, wie der auffrischende Wind an seinen Locken zerrte, und genoss die Brise in seinem Gesicht.
    Dann bemerkte er, dass am Niedergang zu den Kabinen der ersten Klasse im Heck erstaunlich viele Matrosen anscheinend müßig herumlungerten, aber er war so sehr ein Kind seines Standes, dass er keck sein Stöckchen schwang und mitten in die bedrohlich schweigende Gruppe hineinschlenderte. Erst als ihm jemand unmittelbar den

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