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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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hat immer polarisiert.«
    »Zwischen nicht leiden können und hassen liegen einige Spielarten«, sagte Irmi und dachte: zwischen nicht leiden können und morden erst recht. »Gab es konkrete Anlässe, ihn nicht leiden zu können?«, fragte sie.
    »Sie werden sich doch bestimmt noch in Ettal umhören, und Sie verfügen über Menschenkenntnis. Ich will dazu eigentlich nichts sagen.«
    »Aber es gab Reibungspunkte«, beharrte Irmi.
    »Erstens: Ernst hat sich ständig über den Zustand der Sportanlagen beschwert. Das betraf den Cellerar. Zweitens: Er hat weder leise noch dezent oder diplomatisch darauf verwiesen, dass er für die Moderne an dieser Schule stehe. Für ihre Zukunft. Dass er als Altgriechischlehrer profilgebend sei und als beliebter Lehrer mit dem Draht zur Jugend der perfekte Mann für den Job. Das betraf den Schulleiter, an dessen Stuhl er damit sägte.«
    »Da war aber die Einbindung der Kids in die Attacke gegen die WM-Plakatsäulen nicht so schlau, oder?«, meinte Irmi. »Was sagte denn der Abt dazu?«
    »Nun, der Hochwürdigste Herr Abt ist der Kopf und die Seele eines Klosters. Und er ist…war ein Schulfreund von Ernst. Sie hatten einen sehr guten Draht zueinander. Was der Abt letztlich zu dieser Aktion gesagt hat, weiß ich nicht. Es gab ein Vier-Augen-Gespräch. Ich weiß nur, dass weder der Schulleiter noch der Cellerar die Entscheidung des Abtes für gut befunden haben.«
    »Ich finde das schon etwas verwunderlich, dass der Abt so was toleriert«, sagte Irmi.
    »Wundern Sie sich nicht, Frau Mangold. So schlimm war das gar nicht. Schließlich ist man stolz, dass Schüler einer Privatschule Eigeninitiative zeigen. Und der Akt an sich verstößt auch nicht gegen das Kirchenrecht. Im Dritten Reich haben Ettaler Schüler ein Kreuz auf dem Manndl aufgestellt, heute stürzen sie Plakatsäulen um.«
    Das klang bitterböse. Dieser Zynismus überraschte Irmi.
    »Sie halten mich für verbittert, nicht wahr?«, fügte Maria Buchwieser dann auch gleich hinzu.
    Irmi nickte. »Ein bisschen vielleicht.«
    »Nennen Sie es eher Müdigkeit. Jene Müdigkeit, die einen plötzlich wie ein Stoß trifft. Die einen ins Bett zwingt und die dann umschlägt in Herzrasen. Die einem den Schlaf nicht gönnt. Ernst mit all seinen Ideen und Idealen, mit seinen Aktionen und seinen Argumenten hat mich ermüdet. Ich saß immer in der ersten Reihe beim Film ›Buchwieser gegen den Rest der Welt‹. Ernst war hochintelligent, gefährlich intelligent, aber zu einem hat es bei ihm nie gereicht: seine Intelligenz subtil einzusetzen, zu taktieren, statt zu provozieren. Sein Kampf gegen die Ettaler Strukturen war immer schon zum Scheitern verurteilt.«
    »Immer schon?«
    »Sehen Sie, ich selbst bin Ettal-Absolventin, als Externe natürlich. Ich war eines von drei Mädchen im Jahrgang 1969. Wir waren die Pionierinnen. Wir durften anfangs keine Jeans tragen, sondern nur Röcke oder allerhöchstens Stoffhosen. Dann wurden Jeans erlaubt, aber niemals, wenn man vorm oder im Direktorat war. Ich war ein kleines Mädchen, ich huschte durch diese langen Gänge. Es war schrecklich. Ich hatte Angst.«
    »Hatten nur Sie Angst?«
    »Nein, auch andere. Aber es gab Kinder, die haben es geliebt, Ettaler zu sein. Sie hielten sich für auserwählt. Für sie war das ein ruhiges Klima da oben, es war eine friedliche Klientel. Sie haben Pater Stephan Schaller angebetet, als eine Art Lichtgestalt. Als ein würdiger Abgesandter Gottes auf Erden.«
    »Und Sie?«
    »Ich möchte dazu eigentlich nichts sagen. Nur so viel: Als ich zwischen Griechisch und Französisch wählen durfte und Französisch nehmen wollte, hat er es mir verboten. Er hat sogar meinen Vater ins Boot geholt. Ich musste Griechisch lernen. Als wir elf waren und Theater gespielt haben, waren wir obenrum platt wie Holland, und der Pater hat uns eigenhändig Kunstbrüste, so perverse Dinger, umgeschnallt. Das waren andere Zeiten damals, Frau Mangold, wir waren gschamig, kleine verschreckte Mädchen.«
    Irmi ließ das Gehörte auf sich wirken. Sie musste an ihre Oma denken, die sie zum Beichten gezwungen hatte, wo es nichts zum Beichten gegeben hatte. Doch ihr fehlten die richtigen Worte, um davon zu erzählen.
    Maria Buchwieser sprach weiter: »Ich hatte einige wirklich integre Lehrer, aber da waren auch andere: Profilneurotiker, sozial Inkompetente, Angsthasen, emotionale Verlierer. Alkoholiker, Patres kurz vor dem Sektierertum oder schon drüber – das ganze Spektrum des Menschseins eben. Das

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