Tod auf der Piste
Ertrinkende. Wir haben Rotwein getrunken und Apfelkorn und, Sie ahnen es, miteinander geschlafen. Voller Verzweiflung und mit Rachegedanken. Hinterher haben wir Ernst davon erzählt. Der hat uns ausgelacht und Kurt jovial auf den Rücken gehauen: ›Na prima, Bruderherz, dann sind wir ja quitt.‹« Sie schwieg eine Weile. »Kurt hat dann die Firma an die Wand gefahren und sich im Dezember 1983 erhängt.«
»Und Sie? Soweit ich weiß, sind Sie mit Ernst verheiratet. Nach all dem haben Sie ihn geheiratet?«
Wieder ein bitteres Lachen. »Ja, ich war süchtig. Ich wusste, dass er mir nicht guttut, und bin sehenden Auges in mein Unglück gelaufen. Ich wusste, dass mich eine Flucht hätte retten können, und ich bin doch stehengeblieben. Wir sind bis heute auf dem Papier verheiratet – auch damit die Kirche ihre Verlogenheit bewahren kann.«
Irmi zog die Stirn in Falten und sah Maria Buchwieser fragend an.
»Sehen Sie, im Internat Ettal gibt es drei Arten von Personal. Erstens staatliche Lehrer, die für die Privatschule freigestellt sind. Zweitens Angestellte und drittens Kirchenbeamte, die vom Katholischen Schulwerk bezahlt werden. Ernst war einer von der dritten Kategorie, und da ist man einfach nicht geschieden. O nein, man kündigt keinen Bund auf, der vor Gott geschlossen wurde!«
Irmi ließ die Worte einige Sekunden auf sich wirken. »Aber Ihr Mann war doch eher unkonventionell, ein Nonkonformer, es wundert mich, dass er sich nicht darüber hinweggesetzt hat.«
»Um den Job zu verlieren? Nein, er war durchaus auch ein Taktiker, und er hatte durchaus vor, an der Schule etwas zu werden. Ernst war nie mit einer Rolle im Fußvolk zufrieden.«
»Etwas werden?«, fragte Irmi nach.
»Nichts weniger als Direktor.«
»In Ettal? An einer katholischen Schule? Geht das überhaupt?«
»Es gibt durchaus kirchliche Schulen mit weltlichen Schulleitern«, erwiderte Maria Buchwieser.
Ettal, auch das lag außerhalb von Irmis Welt, dabei lebte sie sozusagen am Fuß jenes Berges, unterhalb dessen sich das Kloster mächtig in den Himmel reckte. Wo es Eindruck zu schinden suchte und doch so stark vom hohen Gebirge bedrängt wurde. Die Berge hielten es in Schach, sie bremsten seine Höhenflüge. Genau das war sein Charme – moderne Touristikprofis würden Alleinstellungsmerkmal dazu sagen. Ein gewaltiger Baukomplex mitten in den Bergen. Eine stolze Anlage, die doch zur Demut gezwungen war, denn die Berge waren mächtiger als menschliches Streben.
Das Wetter übrigens auch: Irmi musste unwillkürlich lächeln. Wie oft hing über Ettal der zähe Nebel, wie selten kam im Winter die Sonne über die Felsriesen. Lange Perioden im Schattenreich waren die Folge, denn die Sonne konnte man nur strahlen sehen, wenn man weit hinaufstieg, um einem hellen Horizont näherzukommen. »Ganz schön schattig, ziemlich zapfig« – das war’s in Ettal häufig. Die Pfützen konnten noch immer mit dünnem Eis überzogen sein, während es fünfhundert Meter weiter schon fast T-Shirt-warm war.
Irmi kannte das Phänomen. Auch sie lebte in einem winterlichen Schattenreich unter dem Rauheck, aber dafür hatte sie einen weiten Horizont. Zu ihren Füßen lag das Murnauer Moos. Große Weite inmitten des Gebirges. Für Irmi war es jedes Mal wie ein Aufatmen, wenn sie Garmisch verließ. Ihr rückten die Berge dort zu sehr auf die Pelle.
Irmi kannte durchaus Externe, die dort zur Schule gegangen waren, dennoch blieb Ettal für sie ein Mysterium. Vielleicht hatte sie zu oft Ecos »Der Name der Rose« gelesen, war zu tief in den gleichnamigen Film eingetaucht– in jedem Fall waren Klöster für sie wie verzweigte Höhlensysteme mit undurchschaubaren, gefährlichen Hierarchien. Plötzlich verspürte sie ein jähes Unbehagen darüber, eben dort im Dreck wühlen zu müssen.
Maria Buchwieser fuhr nach einer Pause fort: »Es gibt natürlich den Abt, der über allem steht. Dann seinen Stellvertreter, den Prior. Es gibt einen Schulleiter, es gibt die Internatserzieher, und dann ist da noch die im Prinzip wichtigste Instanz: der Wirtschaftspater, der Cellerar.«
»Letzterer entscheidet über die Finanzen?«
»Sie sagen es.«
Es lag ein Unterton in ihrer Stimme. Wieder runzelte Irmi die Stirn.
Maria Buchwieser lächelte: »Sie erfahren es ja sowieso. Der Cellerar war nicht der beste Freund von Ernst, der Schulleiter auch nicht. Und ein paar im Kollegium konnten ihn ebenfalls nicht leiden, ein paar andere hingegen wären für ihn durchs Feuer gegangen. Ernst
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