Tod auf der Piste
Schlimme aber in so einem engen Korsett ist es, dass diese Unzulänglichkeiten immer unter dem Deckmantel irgendwelcher Benediktinerregeln daherkamen. Man konnte eine Sau sein und hatte dennoch irgendeine Rechtfertigung. Es gibt eben gutes und schlechtes Bodenpersonal in der Airline Gottes.« Nun lächelte sie wieder. »Mein Resümee war, dass man zu viel Energie verbraucht, wenn man Kämpfe gegen die Mächtigen aufnimmt. David gegen Goliath ist eine Illusion. Ich bin auch Lehrerin oder besser gesagt, ich war es. Ich habe mich ein paar Mal zu oft aufgerieben zwischen Schulleitern und Kollegen, heute nennt man so was Mobbing. Inzwischen unterrichte ich in der Erwachsenenbildung.« Sie lächelte. »Auch damit verdient man Geld, und man gewinnt etwas Wesentliches: mehr Ruhe. David gegen Goliath, pah!«
»Aber Ernst dachte anders?«, fragte Irmi.
»Ja, er war immer der Typ, den die Konfrontation eher noch angestachelt hat. Ich meine, er kam ja aus einer wenig begüterten Familie. Kleiner Raumausstatterbetrieb, alles ganz bürgerlich. Eine liebe Mama, die Hausfrau war und nebenbei die Buchhaltung vom Laden gemacht hat. Ein durchaus gewitzter Papa mit Charme, der mehr auf Berg- und Skitouren war als im Laden. Ernst hat diese Familie wahrscheinlich schon im Volksschulalter hinter sich gelassen. Er hatte ein Stipendium fürs Internat und hat sich keine Sekunde lang den Kindern der Reichen untergeordnet. Er war sofort der Leader. Damals gab es große Schlafsäle und gemeinsame Duschräume und jede Menge Jungs, die diese fehlende Individualdistanz gehasst haben. Für Ernst war das eher von Vorteil, er konnte seine Anhängerschaft auf diese Weise dicht um sich scharen. Und für ihn waren all diese menschlichen Unzulänglichkeiten eher wissenschaftliche Studienobjekte, ja er liebte es, in den Krieg zu ziehen. Weil er keine Angst hatte. Und wenn man ihm etwas zugutehalten muss: Als Lehrer war er grandios. Er lehrte seine Schüler Stärke. Er versucht sie aus dem Duckmäusertum herauszuholen und sie ins Bühnenlicht zu stellen. Er wollte sie mutig machen. Er selbst fürchtete weder Tod noch Teufel…«
Sie hielt inne, erschrocken fast. Dann sah sie Irmi mit diesen schönen und verletzlichen Feenaugen an. Ja, gefürchtet hatte er sich nicht vor dem Tod, aber dieser hatte Ernst Buchwieser letztlich doch erwischt. Und ob der Teufel dabei im Spiel gewesen war? Oder gar ein frommer Gottesmann? Irmi überfiel wieder dieses ungute Gefühl. Die beiden Frauen schwiegen eine Weile.
»Wenn Ernst ein Protegé des Abtes war, dann müssen ihn seine Gegner umso erbitterter gehasst haben«, sagte Irmi schließlich.
Wieder ein sarkastisches Lachen. »Ein Gottesmann hasst nicht. Genauso wie er nicht falsch aussagt. Ein Gottesmann liebt seine Feinde. Er ehrt die Älteren, murrt nicht, verleumdet nicht, und töten tut er schon gar nicht.«
»Benediktinerregeln?«
Maria Buchwieser lächelte. Sie stand auf, ging zum Bücherregal und förderte ein schwarzes Büchlein zutage. »Bitteschön, zur gefälligen Lektüre, und seien Sie immer der wichtigsten Aussage gewahr: Ein gutes Wort geht über die beste Gabe.«
Irmi hielt das Bändchen in Händen. Wenn es so einfach wäre, den Tücken des Lebens gute Worte entgegenzustellen. »Ich entnehme Ihren Worten, dass in so einem Kloster eben auch nur Menschen leben.«
»O ja, abgefedert durch Sicherheit, aufgefangen durch die Gemeinschaft und doch immer wieder zurückgeworfen auf das Ich. Auch auf die Zwänge. So ein Kloster ist ein Wirtschaftsbetrieb, ja, mehr noch: Es ist vor allem ein Wirtschaftsbetrieb. Und wie in einer Firma oder auch in der Politik kommt es auf die zweite Riege an. Der Abt hat viele Pflichten auch außerhalb des Klosters. Die Leute vor Ort müssen funktionieren.«
»Tun sie es?«
»Wie gesagt, machen Sie sich ein Bild. Der Schulleiter und der Cellerar sind sehr unterschiedliche Charaktere. Aber beide halten sich nicht unentwegt an die Regeln ihres guten Benedikt von Nursia. Ob sie wirklich nie Arglist im Herzen tragen? Und beide haben Ernst verabscheut, da bin ich mir sicher! Aber von denen legt keiner Hand an. Die haben perfidere Methoden, bessere Ränkespiele auf Lager.«
»Von persönlichen Animositäten mal abgesehen: Schadete Ernst denn dem guten Ruf der Schule?«
»Darüber war man im Kollegium, unter den Patres und bei den Schülern ganz unterschiedlicher Ansicht. Einige betrachteten seine Aktionen wirklich eher als Werbung, als PR-Gag. Andere waren brüskiert. Der
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