Tod auf der Piste
einfach so.
Irmi ging ins Haus und machte Licht. Das Haus war nicht mehr das jüngste, keine Frage, aber es strahlte eine ungeheure Kraft aus. Wenn all die Zeit ihm nichts hatte anhaben können, würde das die Zukunft auch nicht schaffen. Das Haus hatte ein paar ordentliche Runzeln und Kerben, aber es stammte noch aus einer Epoche, in der nicht bloß die Fassade zählte. Es hatte innere Werte, und es umfing einen mit einer ganz besonderen Wärme, wenn man die Tür öffnete und den Vorraum betrat.
Für Irmi war das Haus eine Sie. Häuser mussten einfach weiblich sein, wie Schiffe, fand sie. Denn Häuser konnten Diven sein und sich immer neu erfinden. Diese hier war über vierhundert Jahre alt, und ihr wohnte die stoische Ruhe einer alten Frau inne, die viel vom Leben gesehen hat und der nichts mehr fremd ist. In ihren Mauern war geliebt und gehasst worden, es hatte jubelnde Lebensanfänge und todtraurige Enden gegeben. Schritte hallten und verhallten, viele hatten ihre Spuren auf den schweren Holzböden hinterlassen. Wahrscheinlich ruhten hundert Schichten Kalk auf ihren dicken Wänden, Unmengen von Holz waren in ihrem dickbäuchigen Grundofen in Rauch aufgegangen.
Irmis Familie hatte das Haus vor hundert Jahren erworben. Manchmal fragte sie sich, ob sie es wirklich besaßen oder ob nicht die alte Frau ihnen nur einige Augenblicke in ihrem langen Leben Zuflucht gewährte. Sie war immer sehr kooperativ gewesen, als es um Umbauarbeiten gegangen war. Sie hat nie gezickt, nie gezittert unter dem Wummern der Maschinen.
Natürlich konnte man mit solch einem Haus kommunizieren. Musste man sogar, es war ja kein austauschbares Niedrigenergiehaus im Neubaugebiet mit Wendehammer und Lärmschutzwall. Es war keine elegante Lady, und es musste sein Innerstes nicht durch Glasfassaden nach außen stülpen. Außerdem war es schließlich ein Denkmal, aufgeführt auf der Liste des bayerischen Denkmalamts.
Als Irmi ihren verwaschenen Herrenschlafanzug aus Flanell angezogen und sich eine Tasse Fencheltee mit viel zuviel Zucker gemacht hatte und als der Kater endlich mit seinem Milchtritt in ihrer Bauchgegend aufgehört und sich im Fußraum des Bettes niedergelassen hatte, zog Irmi das Büchlein heraus, das Maria Buchwieser ihr geliehen hatte. Sie überflog über siebzig Kapitel, die mit den Worten endeten: »Dann wirst du schließlich unter dem Schutz Gottes zu den erwähnten Höhen der Lehre und der Tugend gelangen. Amen.«
4
Sie waren fast eine Stunde zu früh dran.
»Gibt’s hier ein Café?«, fragte Kathi.
»Lass uns lieber in diese Schaukäserei gehen, ich war noch nie drin. Kaufen wir doch Käse ein für heute Abend«, schlug Irmi vor und registrierte, dass es in ihrer Heimat so vieles gab, was sie nicht kannte. Es roch käsig, durch eine Glasscheibe konnte man den Prozess von der Milch zum goldgelben Käse mitverfolgen.
Gerade begann eine Touristenführung. »Hier sehen Sie, wie das Lab zugegeben wird, Sie sehen die Harfe, die die verdickte Masse zerkleinert. Der Käsebruch kommt dann in Formen und wird in ein Salzbad versenkt. Am Ende landet der Laib im Reifekeller«, erläuterte eine Dame und warf dem Käser eine Kusshand zu.
In fast verschwörerischem Ton ging es weiter: »Die Kühe, deren Milch hier verarbeitet wird, grasen auf artenreichen Wiesen, sie bekommen kein Silofutter wie bei den anderen Bauern. Die silagefreie Milch ist der Garant für Käse, der anders schmeckt als ein Holländer in Vakuumpack. Vor der Sennerei steht eine Tafel, die all unsere lieben Bauern auflistet, die Mitglieder der Genossenschaft sind. Sie profitieren von der Sennerei, denn wer heute zehn Kühe hat, ist auf dem Milchmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. Die Kühe unserer lieben Bauern haben noch Namen. Sie bekommen feines Berggras und duftiges Heu zu fressen. Unsere lieben Bauern pflegen die Natur, und Sie, liebe Gäste, profitieren ja auch davon, denn nur dort, wo die Bauern als Landschaftspfleger tätig sind und Bergweiden noch bewirtschaftet werden, wird der Erosion und Verödung vorgebeugt, und Sie können sich in unserer schönen Heimat erholen.«
Die Gäste nickten artig. Irmi war kurz davor, sich einzumischen. Unsere lieben Bauern. Himmel, Kruzifix, was für ein Schmarrn! Es stimmte natürlich, dass ohne die Arbeit der Landwirte bald alles zuwuchern würde und aus einer uralten Rodungs- und Kulturlandschaft Urwald würde, aber es war einfach ungerecht, all die anderen Bauern zu verdammen.
Sie und ihr Bruder hatten einen
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