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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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32-Hektar-Hof mit siebenundzwanzig Milchkühen und rund fünfundzwanzig Jungviechern. Ein paar ihrer Kühe hatten noch Namen wie Irmi Zwo, die Gnadenbrotkuh. Andere auch: Lolita, die schon elf Jahre alt war, und Ernele, die acht war und um die Augen so gezeichnet, als trüge sie eine Brille. Andere Kühe jedoch hatten keine Namen mehr, und Irmi hätte weder sich noch Bernhard einen starken emotionalen Bezug attestiert. Aber sie hatten Respekt vor den Tieren und den Wunsch, dass es ihnen gutging.
    Außerdem konnte sich Bernhard kranke Kühe gar nicht mehr leisten, der wirtschaftliche Druck war viel zu gewaltig. Ihr Hof war ein halbes Computerterminal und der Tierarzt nur noch mit Laptop unterwegs. Er erfasste erst einmal den Ist-Zustand der Tiere: Wie war der Ernährungszustand der Kühe? Wie das Stallklima? Gab es ausreichend gut eingestreute Liegeplätze? Konnten alle gleichzeitig fressen? Dabei fütterte er den Computer mit einer Vielzahl von Parametern. Irmi war das alles zu hoch, und doch stand sie oft daneben und staunte darüber, wie schnell und prägnant die Kurven Aufschluss über die Lage im Stall gaben. Als Bernhard beispielsweise einen unterdurchschnittlichen Fett- und Einweißgehalt der Milch beklagte, hatte der Tierarzt bedarfsgerechte Zufütterung mit Kraftfutter in petto.
    Aber wie hätte sie das den Touristen erklären sollen? Ihnen sagen, dass es zwischen Museumsromantik und seelenloser Fabriktierhaltung noch einige Schattierungen gab? Irmi fühlte Wut aufsteigen und gleichzeitig Resignation: Sie war nicht die Pressesprecherin des Bauernverbands, und sie war auf keinem Kreuzzug fürs Bauerntum. Sie war Kommissarin und sollte einen Mord aufklären. Leider war heute kein guter Tag dafür. Sie war schon schlecht aus dem Bett gekommen, und nun war sie verspannt – innerlich wie äußerlich.
    Irmi und Kathi gingen an der Klostermauer entlang. Eine Tafel kündete von der Beziehung zum Kloster Wechselburg in Sachsen, und es waren auch Sponsoren verzeichnet. In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür, und die Schüler strömten heraus. Ein semmelblonder Lehrer in den Vierzigern mit himmelblauen Augen scheuchte die Kinder vor sich her, was höhere Dompteurqualitäten zu verlangen schien. Frische Luft, mens sana in corpore sano oder so ähnlich war wohl die Devise.
    Irmi beneidete den Lehrer nicht um den Job, es gab definitiv noch schlimmere Tätigkeiten als bei der Mordkommission. Die Schüler sahen völlig normal aus. Warum auch nicht, natürlich hatten sie keinen Heiligenschein, genauso wenig wie ein jüngerer gut aussehender Pater, der sich seinen Weg durch die Schülermenge bahnte. Die Fünftklässler– zumindest nahm Irmi an, dass es sich um solche handelte – waren noch echte Zwergerl. Auch daran merkte man, dass man alt wurde: wenn man das Alter von Kindern nicht mehr einschätzen konnte, wenn man bei den Mädels nicht mehr sagen konnte, ob sie zwölf oder sechzehn waren. Einige Schüler starrten sie unverhohlen an, es wurde geflüstert. Wahrscheinlich sahen weder sie noch Kathi aus wie Mütter von Ettalzöglingen. Die Kinder hatten sicher schon davon Wind bekommen, was mit Buchwieser passiert war. Todesnachrichten waren schneller als der Schall.
    Irmi wandte sich an den Lehrer. »Wir würden gerne ins Direktorat«, erklärte sie. Der Lehrer wies ihnen den Weg, die Treppe hinauf. Ein paar Jungs hatten seine kurze Unachtsamkeit genutzt und sausten in die falsche Richtung. Der Lehrer rief ihnen ein sarkastisches »Männer, wo wollt ihr hin?« hinterher. Nein, Pausenaufsicht wäre definitiv nicht Irmis Traumjob.
    Sie stiegen die Treppe hinauf, und irgendwie war Irmi enttäuscht. Kein Stuck, keine Mosaike, die Bodenfliesen trugen die Narben der Jahrzehnte, die weißen Wände waren angeschmutzt. Keine majestätische Treppe, sondern ein ganz banales Treppengeländer aus Stahl und Plastik. Allein die schweren Holztüren mit den silberfarbenen Beschlägen hatten etwas Repräsentatives.
    Irmi hatte sich am Abend zuvor noch angemeldet und um Gespräche mit dem Abt, mit dem Cellerar und dem Schulleiter gebeten. Dabei hatte sie erfahren, dass der Hochwürdigste Herr Abt bei einem Gedankenaustausch in Wechselburg weilte, zusammen mit Patres aus anderen Stiften. Irmi und ihre Kollegin waren für zehn Uhr einbestellt worden. Im Sekretariat wurde ihnen gesagt, sie möchten noch warten – vor der Tür des Herrn Schulleiter. Sie nahmen auf abgewetzten Sesseln Platz, unter einem Bild des heiligen Benedikt. Er sah

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