Tod auf der Piste
konnten, richtete er die Waffe auf die beiden.
»Wissts wos! Der Rieger Egon, des is koa Grattler und koa Sprichmacher. Wenn i sag, i wehr mi, dann wehr i mi.« Er wirkte erregt und zufrieden zugleich.
Irmi hatte in ihrer Laufbahn dreimal in die Mündung einer Waffe schauen müssen. Einmal war ein Kollege dabei schwer verletzt worden. Sie war ein halbes Jahr lang zu einer Psychologin gegangen, weil die Bilder nicht hatten weichen wollen. Weil sie sie angesprungen hatten wie Raubtiere. Von hinten, ohne Vorwarnung, zu den unglaublichsten Gelegenheiten.
In der gegenwärtigen Situation glaubte sie den Bruchteil einer Sekunde lang, ersticken zu müssen, doch dann war die Attacke vorbei. Sie registrierte es mit Verwunderung, dann mit einem inneren Jubelschrei. Sie hatte es geschafft.
Irmi sah Rieger unverwandt an. Ihm war durchaus zuzutrauen, dass er schoss, er war überheblich und dumm genug. Nun hatte er diese renitenten Weiber im Griff, nun hatte er das Leben wieder unter Kontrolle. Er war gefährlich. Irmi versuchte, aus dem Augenwinkel Kathis Reaktion zu sehen. Sie befürchtete, dass diese eine Waffe ziehen oder sonst etwas Unüberlegtes tun könnte. Kathi war so unbeherrscht, Kathi war jung. Was Irmi aber sah, war eine Kathi, die völlig paralysiert wirkte, die Angst hatte, Todesangst.
Irmi fixierte Rieger mit den Augen. »Herr Rieger, legen Sie bitte diesen Prügel weg.«
»Jetzt hobts Angst, ihr Bixn!« Er genoss seine Macht, ein sonst machtloser Wicht, der nun ausnahmsweise einmal am längeren Hebel saß.
»Herr Rieger, legen Sie die Waffe weg! Dann kommen Sie vielleicht gerade noch aus der Sache raus. Als Doppelmörder aber sind Sie weg vom Fenster, da können dann die Kröten jahrzehntelang durch Ihr Hotel wandern.«
Rieger gab einen Laut von sich, der wie ein Bellen klang. Mit einer jähen Bewegung riss er das Gewehr hoch, ein Schuss löste sich, irgendwas klirrte. Irmi riss die Arme instinktiv vor den Kopf, eine Tür klappte.
Als sie die Augen öffnete, war Rieger weg. Kathi kauerte am Boden, mit einer Schnittwunde an der Wange. Von einer Glaslampe an der Decke waren Splitter heruntergefallen. Kathi schien unter Schock zu stehen. Irmi zog ihr Handy hervor, forderte Notarzt und Verstärkung an und warf dabei einen Blick auf Kathi, die sonst unversehrt wirkte, nur eben wie eingefroren, als hätte jemand den Film angehalten.
Dann sprintete Irmi nach draußen. Sie sah Rieger bergwärts hasten. Kurz verlor sie ihn aus dem Blickfeld. Wieder war ein Schuss zu hören. Verdammt, bei diesem Choleriker brannten anscheinend sämtliche Sicherungen durch. Kurz darauf hörte Irmi einen Hilferuf. Sie rannte weiter – dafür, dass sie fünfzig und übergewichtig war und sich nie um Sport geschert hatte, ging es gar nicht so schlecht.
Am Wegesrand auf einer Bank kauerte ein Ehepaar in Kniebundhosen, Karohemden und olivfarbenen Jacken im Partnerlook. Beide waren jenseits der sechzig. Aus der Kehle der Frau kam ein weiterer Hilferuf, doch sie schien unversehrt.
»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, erkundigte sich Irmi.
Der Mann nickte und richtete sich ächzend auf.
»Er hat geschossen!« Die Frau war weiß wie eine Marmorplatte. »Polizei, so ruf doch jemand die Polizei!«
»Ich bin von der Polizei. Wo ist er hin?«
Die Frau wies nach links, und Irmi spurtete wieder los. Im Rennen rief sie noch: »Bleiben Sie bitte, wo Sie sind. Ich brauch Sie noch!«
Irmi erreichte etwas Höhe. In einer langgezogenen Kurve sah sie Rieger auf der anderen Seite eines kleinen talartigen Einschnitts. Sie zückte das Handy: »Ich hab ihn ver-loren. Rieger ist auf dem Vogelherdweg in Richtung Oberammergau unterwegs und ballert offensichtlich rum. Der Mann ist völlig von Sinnen. Ich schließe auch nicht aus, dass er den Weg verlässt und sich irgendwo unterm Ettaler Manndl versteckt.«
Irmi atmete tief durch. Sie hatte gelogen, aber sie würde in keinem Fall allein hinter einem Irren herrennen, der um sich schoss. Und sie ihrerseits würde keinen gezielten Schuss abgeben. Sie hatte noch nie auf einen Menschen geschossen, und das sollte auch so bleiben. Der schweratmige Rieger würde nicht weit kommen. Das hier war nicht die Weite Kanadas, das waren die Wälder unterm Ettaler Manndl, der Felsnase, die vorwitzig aus dem Wald herausspitzte. Und wenn es Tage dauern würde, sie würden ihn schon finden. Langsam ging Irmi in Richtung Kloster zurück, allmählich pendelte sich ihre Atmung wieder auf Normalfrequenz ein. Ja, das war einer
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