Tod auf der Piste
der wenigen Vorteile des Alterns: Man lernte, Nein zu sagen.
Sie hielt kurz inne. Von hier oben, aus dieser Perspektive war der Klosterkomplex besonders imposant. Und plötzlich waren sie wieder da, die Schulausflüge, die Wandertage ihrer Kinderzeit. Wandertag hieß das heute wahrscheinlich auch nicht mehr, sondern teambildendes Outdoorevent. Und da waren sie wieder, die Zahlen und Namen: Klosterkirche, geweiht 1370, nach dem großen Brand von 1744 vom Wessobrunner Joseph Schmuzer wiederhergestellt, das Kuppelfresko stammte von Johann Jakob Zeiller.
Die beiden älteren Touristen mit dem Ruhrpottzungenschlag hockten auf der Bank wie Pennäler, die auf ihre Strafarbeit warten. Irmi hatte gar nicht gewusst, dass sie so Ehrfurcht gebietend wirkte! Sie bat die beiden, ihr bis zum Hotel zu folgen. Sie schlurften hinter ihr her wie zwei Hunde. Irmi musste grinsen. Zumindest würde der Aufenthalt in Ettal für die beiden unvergesslich sein.
Vor dem Hotel parkte ein Notarztwagen. Kathi hockte auf einer Art Regiestuhl, der wohl aus dem Sanka gezaubert worden war. Sie wirkte erschöpft. Über der Stirn und auf der Wange klebten Pflaster. Teilnahmslos nuckelte sie an einer Wasserflasche.
»Geht’s dir gut?«, fragte Irmi.
Kathi sah irgendwohin ins Leere. »Ich hätte nicht, also ich hätte…« Sie brach ab.
»Passt scho. Man gewöhnt sich eben nur schlecht an Waffen. Besonders an die, die auf einen gerichtet werden. Mach dir nichts draus.« Wie einfach es war, generös zu sein, wenn man schon mal durch die Hölle gegangen war und die Chance bekommen hatte, aus selbiger wiederaufzutauchen.
Kollege Hase schlurfte heran. »Was ist denn nun schon wieder los?«
»Hasibärchen, wir brauchen das Kaliber der Waffe, die Kernfrage ist, ob das diejenige ist, mit der Ernst Buchwieser erschossen wurde. Weiter oben im Wald hat er ebenfalls geschossen, wo genau, sagen dir diese beiden netten Herrschaften.« Irmi wies auf die Touristen. »Ach ja, und schön wäre es, wenn ihr irgendwo beim Rieger Zeitungsschnipsel finden würdet. Du weißt schon: Buchstabensuppe für Drohbriefe.«
Hase zog eine Grimasse. »Ich liebe dich, ich bete dich an, Irmgard. Die schönsten Aufgaben stellst doch immer du.«
»Wenn du noch einmal Irmgard zu mir sagst, stirbst du!« Irmi lachte. In ihr stieg ein Hochgefühl auf. Das Gefühl, eine hohe Stufe erklommen zu haben und sicheren Stand erreicht zu haben. Seit langer Zeit wieder einmal.
Nachdem Irmi den Suchtrupp, dem auch zwei Polizeihunde angehörten, eingewiesen und die Aussagen des Ehepaars aufgenommen hatte, ging sie zu Kathi zurück. Die hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht.
»Es tut mir leid. Das war unprofessionell«, sagte Kathi, und Irmi wusste, dass ihr diese Aussage schwergefallen war.
Auf dem Rückweg grübelte Irmi über ihr Verhältnis zu Kathi nach. Ganz sicher war sie nicht gerade ihre Lieblingskollegin. Wieso musste sie sich auch immer mit diesen Girlies rumschlagen? Diesen Mädels, die alles besser wussten.
Wenn sie, Irmi Mangold, sich gegen Vorgesetzte aufgelehnt hatte, war das trotzig gewesen und hatte den Rückzieher bereits beinhaltet. Sie war sich nie hundertprozentig sicher gewesen. Sicher vielleicht, dass sie recht hatte, aber unsicher, ob sie in der Position war, recht zu bekommen. Die Girlie-Generation hingegen war sich sicher, recht zu haben, und zutiefst überzeugt, auch recht bekommen zu müssen. Weil es für sie rote Rosen regnen musste. Weil die Welt sich um sie drehen musste. Woher nahmen die nur diese Selbstsicherheit?
Jetzt hatte Kathi einen Dämpfer bekommen. Irmi notierte das nicht etwa mit Genugtuung. Nein, das war einfach so.
Sie setzte ihre Kollegin in Garmisch ab.
»Kannst du fahren?«, erkundigte sie sich ein bisschen besorgt.
»Sicher.«
»Okay, pass auf dich auf. Wir telefonieren morgen. Schlaf dich aus. Du bleibst morgen früh bitte zu Hause, ja?« Irmi sah sie prüfend an.
Kathi sagte nichts. Sie nickte nur. Es würde noch ziemlich viel arbeiten in ihrem hübschen Kopf.
7
Am nächsten Morgen hatte man Rieger immer noch nicht gefunden. Sie hatten die Suche gestern in der Dunkelheit abgebrochen. Aber der Mann würde sich nicht in Luft auflösen. Irmi hoffte nur, dass er sich nicht irgendwo zu Tode gestürzt hatte, sie hätte nämlich gern mit ihm geredet. Dieser Grattler!
Irmi holte sich im Café Aran einen großen Cappuccino, der ausgezeichnet mundete, aber doch einen Tick weniger glücklich machte als der bei Maria Buchwieser. Was die wohl
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