Tod auf der Piste
wir hatten einen Pakt. Wir waren alle auf dem Wank und haben uns an den Händen gehalten und geschworen, dass wir für immer schweigen werden. Wir hatten einen Pakt…«, wiederholte Maria, »…mit dem Teufel.«
»Sie haben soeben Ihren Schwur gebrochen«, sagte Irmi leise.
»Ja, weil ich den Bann durchbrechen muss. Ich muss die Fesseln loswerden. Sehen Sie, Verlust bedeutet auch Freiheit. Ich habe keine Geschwister, meine Eltern sind tot. Ich habe keine Kinder. Ich hatte nur Ernst. Ernst und seine Ideale und Ideen. Ernst mit seiner Geschwindigkeit, die für mich viel zu hoch war. Jetzt kann ich mein eigenes Tempo wählen, aber ganz frei werde ich erst sein, wenn ich die Gespenster auch loswerde.«
»Und Hubert Deubel? Was ist mit ihm?«
»Ich weiß nicht, ob wir eine Zukunft haben. Ich weiß auch nicht, wann seine Frau sterben wird. Ob er dann ein Trauerjahr einhalten will. Ob er dann noch derselbe ist. Ich habe mir so oft gewünscht, dass Ernst einfach verpufft. Aber seit er wirklich weg ist, fühle ich eine furchtbare Leere. Er hat mein Leben so sehr regiert. Ich muss da für mich einiges klarkriegen, unter anderem auch, welchen Raum Hubert darin hat und haben wird.«
»Ihnen ist aber schon klar, dass das noch ein Nachspiel haben kann? Und dass Sie damit schwerwiegende Anschuldigungen gegen Grasegger, Deubel und Ostler erheben? Ich werde die Herren damit konfrontieren müssen. Vor allem Hubert Deubel.«
»Ja, ich weiß. Aber das Maskottchen will nicht länger in der Umkleidekabine warten. Oder am Rand des Spielfeldes. Ich werde in anderthalb Jahren fünfzig, das ist zu alt, um nur ein Spielzeug zu sein.« Maria Buchwieser klang entschlossen.
Irmi fühlte sich auf einmal völlig kraftlos. Verdammt! Wie hatten sie den Tod von Flori Eitzenberger einfach übersehen können? Kathi hatte doch in der Vergangenheit gegraben und explizit gesagt, dass nichts Relevantes passiert sei. Sie hatte das noch im Ohr: »Bloß ein paar Unfälle und Diebstähle.« Einer der Unfälle war der von Florian Eitzenberger gewesen – sie hätten gleich in diese Richtung ermitteln können. Wertvolle Zeit war verstrichen. Der Unfall hätte Kathi nicht entgehen dürfen. Auch nicht an einem Tag, an dem ihre Tochter verschwunden war.
Was hatte das alles mit dem aktuellen Fall zu tun? Im April 2008 starb Ernst Buchwieser auf der Kandahar. Im April 1978 war Florian Eitzenberger gestorben. Dreißig Jahre früher, im Spätwinter oder Vorfrühling. Was, um Himmels willen, war das hier?
Sie hatten einen Pakt geschlossen. Und Maria hatte den Pakt aufgekündigt. Was, wenn auch Ernst den Pakt aufgekündigt hatte? Der Gedanke kam blitzartig.
»War das alles, Frau Buchwieser?«, fragte Irmi.
Maria Buchwieser schüttelte den Kopf. Sie fingerte in ihrer Umhängetasche. Zögerlich förderte sie einen Computerausdruck zutage. »Ich habe noch etwas gefunden.« Sie reichte Irmi das Blatt.
Irmi überflog es. Es war wieder ein Drehbuch. Die Szenen des Films waren die gleichen. Aber der Text war anders. Der Film, den Lutz und Robin drehen sollten, war in diesem Skript mit einem komplett anderen Text unterlegt. Mit den Geisterstimmen aus der Vergangenheit. Mit den Stimmen von Kurt und Flori.
Irmi hatte das Gefühl, als würden jeden Moment ihre Beine den Dienst versagen. Sie bekam nichts heraus als: »Woher haben Sie das?«
»Aus Ernsts Computer. Ich habe drin gestöbert. Ich weiß eigentlich nicht, warum. Vielleicht, um das alles zu verstehen.«
Irmi schluckte schwer. »Vielleicht wollte er mit der Geschichte von damals an die Öffentlichkeit gehen? Er wollte seine damaligen Freunde denunzieren und hat außerdem zwei Schüler dazu missbraucht.« Wie hatte Jochum gesagt: Großes Kino. Breitwand mit Dolby Surround. Ernst Buchwieser hatte mit Getöse und Dramatik eine Bombe platzen lassen wollen.
»Sind Sie sicher, dass niemand von dem Plan wusste?«, fragte Irmi.
»Ich bin mir schon lange nicht mehr sicher. In mancherlei Hinsicht.«
16
Irmi verabschiedete sich und sah Maria nach, die die Stufen zu ihrem Unterrichtsraum hochstieg. Es schien so, als wäre sie nach langer Krankheit wieder auf den Beinen. Sie schleppte sich die Treppe hinauf.
Langsam ging Irmi über die Straße, es regnete jetzt stärker, doch sie bemerkte es kaum. Was für eine irrwitzige Idee! Und doch so perfide und perfekt. Quirin Grasegger wäre beim WM-Organisationskomitee erledigt gewesen, so viel stand fest. Hubert Deubel hätte um Aufträge ringen müssen. Sepp Ostler wäre
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