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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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zu fahren. Nach einer knappen Stunde trafen ein paar Faxe ein.
    Wenig später hatte Irmi ein klareres Bild: Zum Zeitpunkt von Florian Eitzenbergers Tod war sein Sohn Florian junior gerade fünf geworden. Florian, seine gleichaltrige Frau Roswitha und ihr Kind lebten bei Florians Mutter, die seit dem frühen Tod ihres Mannes das Sägewerk zusammen mit ihrem Sohn leitete. Nach dem Tod von Florian war Roswitha weggezogen, sie war aber nach fünf Jahren wiedergekommen, vermutlich zusammen mit ihrem Sohn, was Irmis Informationsquellen jedoch nicht zu entnehmen war. Fest stand jedoch, dass Florian Eitzenberger junior heute dem Werk vorstand. Die alte Frau Eitzenberger war mittlerweile in den Achtzigern und unter ihrer angestammten Adresse gemeldet.
    Nackte Fakten, Daten aus den Melderegistern. Namen und Nummern. Leben ließen sich so leicht reduzieren und zwischen Aktendeckel klemmen. Aber was standen für Menschen dahinter? Was hatten sie erlitten, damals in diesem verdammten Schicksalsjahr?
    Da Kathi noch immer im Krankenstand war, beschloss Irmi, sich am nächsten Tag allein zu den Eitzenbergers aufzumachen.
    Sie war eigentlich immer allein gewesen, wenn es darauf angekommen war. Allein am Bett ihrer sterbenden Mutter, denn Bernhard hatte Heu einfahren müssen, weil ein Gewitter am Himmel gestanden hatte. Vielleicht hasste sie deshalb Gewitter so sehr. Seit dieser Zeit vor einem knappen Jahr, als sie allein gewesen war mit ihrer Angst und ihrer Hilflosigkeit. Es war ein langsames Sterben gewesen, über zwei Wochen hatte es sich hingezogen. Nur noch von Infusionen hatte diese Frau gelebt, die einst ihre Mutter gewesen war. Wie lange konnte ein Mensch von Flüssigkeit leben, hatte sie sie sich gefragt, und ob es denn nun trotz Patientenverfügung richtig war, einen Menschen einfach verhungern zu lassen. »Austherapiert« hatte der Arzt das genannt, die Parkinson-Medikamente abgesetzt und die gegen die Demenz – und die Stimmungsaufheller, die sowieso nie gegen die Düsternis angekommen waren, erst recht. Irmi hatte Urlaub genommen, sie hatte die Stunden nicht gezählt, die sie dagesessen war, die trockene, kalte, faltige Hand in der ihren. Es war ein Dahinschwinden gewesen, das langsame Erlöschen eines Lichtes, das einst hell und durchaus herrisch aufgeflammt war. Ihre Mutter– wiewohl recht klein – war immer kräftig gewesen, verlassen hatte sie Irmi mit gespenstischen fünfunddreißig Kilo. Es war ein Festklammern gewesen an ein Leben, das selten sonnenhell gewesen war, ein Leben mit Bittermandelgeschmack.
    Ihr Vater, der Dorfstrahlemann, der auch mal Bürgermeister gewesen war, hatte stets auf allen Hochzeiten und mit allen Damen getanzt – und nicht nur getanzt. Er war ein leichtfüßiger Charmeur gewesen, ein Schlitzohr, aber auch die, die er über den Tisch gezogen hatte, kapitulierten am Ende vor seinem Charme. Gegen ihn zu verlieren, war keine Schande gewesen. Wie oft hatte sie den Satz hören müssen, der ihr so verhasst gewesen war: »Was hast du für einen tollen Vater!« Dabei war er als Vater keineswegs toll gewesen, sondern selbstgefällig, und als Ehemann hatte er ihre Mutter zu oft verletzt, als dass er ein guter Mann gewesen wäre. Als er vor zehn Jahren an einem Infarkt ohne jede Vorwarnung gestorben war, hatten sie alle keinen Frieden mit ihm machen können.
    Diesen Frieden hatte ihre Mutter wohl noch gesucht, eine Absolution, eine Wegweisung von irgendwoher. Sie hatte sich gewehrt gegen das Sterben, sich eingespreizt in ihr schwindendes Leben, sie hatte nicht ruhig einschlafen können. Und Irmi war dabeigesessen bis zum Ende, bis die Hand, die wie eine Kralle gewesen war, losgelassen hatte. Am Ende eben doch losgelassen hatte.
    Sie hatte nie darüber geredet, mit Bernhard nicht, nicht mal mit ihm . Bevor sie ihn kennengelernt hatte, war sie in den paar Beziehungen, die sie geführt hatte, allein gewesen, weil sie Sex mit Liebe verwechselt hatte und Freundschaft mit Sex und überhaupt alles ein wenig durcheinandergebracht hatte. Die Zeit war geschrumpft, und der Himmel trug schon lange Grau, eine zeitlose Farbe, die zu nichts verpflichtet. Weder zu blauen Jubelstürmen noch zu tiefschwarzer Trauer. Sie hatte es sich eingerichtet in ihrem Leben – bis zu einem Tag vor fünf Jahren. Selbst wenn sie intensiv nachdachte, wusste sie nicht genau, ob sie jemals zuvor dieses Entzücken für einen anderen Menschen gespürt hatte. Ob sie in der Vergangenheit je so geliebt hatte. Vielleicht früher einmal,

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