Tod Auf Der Warteliste
kaum entlastet. Alle waren sich darin einig gewesen, daß er richtig gehandelt und mit seinem beherzten Eingreifen viele Leben gerettet hatte. Ein psychisch gestörter Siebzigjähriger hatte sich damals in einer Schule verbarrikadiert und damit gedroht, zuerst das Lehrerkollegium und dann sich selbst zu erschießen. Als ersten hatte er den Hausmeister erledigt, danach den Rektor. Wie sich später herausstellte, konnte der Mann den Schulverweis seines einzigen Enkels nicht verwinden, der zuerst auffällig geworden war, weil er in der Schule gestohlen hatte und später manchmal eine Stunde ausfallen ließ, um seine Beutezüge in den Wohnungen der Lehrer fortzusetzen. Der Junge hatte bei seinem Großvater gewohnt, nachdem seine Eltern nicht mehr mit ihm fertig geworden waren. Nachdem er von der Schule geflogen war, hatte er sich auf dem Speicher des Instituts erhängt. Erst nach über einer Woche hatte man ihn dort gefunden. Und dann war der alte Mann durchgedreht.
»Ich kann mir denken, wie beschissen Sie sich fühlen«, sagte der Questore, der Laurenti wieder in die Gegenwart riß. »Ich weiß auch, daß es keinen Trost dafür gibt. Sie haben richtig gehandelt. Sie haben viele Menschen gerettet. Und Sie haben Ihren Hund verloren, wir einen Kollegen. Auch wenn es nur ein Tier war.«
Laurenti nickte nur. Mit seinen Schüssen hatte er ausgerechnet diesem arroganten Pack das Leben gerettet. Es war besser, diese Gedanken bei sich zu behalten. Und es war unmöglich, seinem Chef zu erzählen, daß Cluzot alias Almirante inzwischen in der Tierklinik in Udine war, wo der Chefarzt persönlich um sein Leben kämpfte. Es würde ein Vermögen kosten. Sgubin hatte ihn gegen alle Vorschriften in seinen Dienstwagen gepackt und war mit Blaulicht und Sirene über die Autobahn in die sechzig Kilometer entfernte Stadt gerast, wo man ihn nach einem Anruf Mariettas bereits erwartete.
»Sie mochten ihn gerne. Ich weiß«, sagte der Chef.
Laurenti schaute auf und nahm das Glas in die Hand. »Noch lebt er. Aber es steht schlimm um ihn. Ich hätte ihn nicht alleine im Auto lassen dürfen.«
»Wenn Sie ihn mitgenommen hätten, wäre er wohl auch unter den Lastwagen gekommen«, sagte der Questore. »Laurenti, wir müssen pro forma eine Untersuchung einleiten.«
»Das ist im Moment meine geringste Sorge. Auf eine Untersuchung mehr oder weniger kommt es nicht mehr an. Es sind andere Dinge, die mir Sorgen machen.« Der Questore fragte sich, ob Laurentis Stimme vor Bedrückung oder vor Zorn bebte. »Ich brauche Ihre uneingeschränkte Rückendeckung. Wenn mich nicht alles täuscht, wird es einen höllischen Aufschrei geben.«
»In der Klinik?«
Laurenti nickte. »Wir müssen sofort das Gelände abriegeln. Es darf niemand raus. Irgend etwas stimmt dort nicht, und ich will umgehend wissen, was das ist. Der Tote aus dem LKW sieht genauso aus wie der Tote des deutschen Kanzlers. Der erste hatte eine Krankenhausschürze an, der zweite will die Ärzte beseitigen. Galvano hat leider recht. Es gibt einen Zusammenhang. Ich hätte mich früher darum kümmern müssen. Unten sitzen die Morena und die Ärzte. Die Kollegen nehmen im Moment ihre Aussagen auf, aber ich befürchte, es dauert nicht lange. Nur will ich sie nicht so schnell gehen lassen. Wir müssen noch einmal in die Klinik, und zwar bevor Rechtsanwalt Romani eingreifen kann. Ich brauche sofort eine Anordnung von Staatsanwalt Scoglio. Am besten ist es, wenn wir Galvano hochschicken, zusammen mit der Spurensicherung. Ich weiß bloß nicht, wo er im Moment ist.« Laurenti trank das halbe Glas Whisky in einem Zug aus.
»Er wird es schamlos ausnutzen, wieder ins Geschäft zu kommen. Ich hoffe, wir werden ihn danach wieder los. Was ist mit diesem Schweizer Schriftsteller?«
»Den knöpfe ich mir später vor. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, als die Sache vorüber war. Wie Galvano. Wir suchen ihn. Tun Sie mir bitte einen Gefallen.« Laurenti zog sein Notizbuch heraus. »Er sprach von Unterlagen, die gestern abend im Wohnmobil dieser österreichischen Nutte vom Campo Marzio beschlagnahmt wurden. Ich brauche sie. Noch etwas: Sie haben einen leichteren Zugang zur High-Society als ich.« Laurenti kramte sein Notizbuch aus der Jackentasche und riß ein Blatt heraus. »An diesem Grab legte der Schweizer Blumen nieder, kurz bevor es losging. Familie Leone. Ich nehme an, es handelt sich um eine Tochter, deren zweiter Todestag morgen ist. Sie starb auf Malta. Würden Sie bitte die Familie fragen, an was sie
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