Tod Auf Der Warteliste
hinauf, die um den neuen Hafen und das Industriegebiet lief.
Der rote LKW
Proteo Laurenti hatte das Blaulicht auf das Dach des Alfa Romeo gestellt. Manchmal schaltete er die Sirene ein, um schneller durch den dichten Verkehr zu kommen. Er war spät dran. Nachdem er seinen Sohn zu Hause abgeliefert hatte, wollte die Beerdigung Lestizzas aber auf keinen Fall verpassen. Kurz vor Sant’Anna nahm er das Blaulicht herunter, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden. Er wollte die Trauergemeinde unbemerkt beobachten können. Laurenti fluchte laut, als er nur mit Mühe an einem roten LKW vorbei auf die Zufahrt zum Parkplatz kam. Unter anderen Umständen hätte er den Fahrer gezwungen, die Straße freizumachen, doch dafür blieb jetzt keine Zeit. Es war fast zehn vor elf, als er die Wagentür absperrte. Cluzot mußte auf dem Rücksitz warten. Laurenti warf dem LKW-Fahrer einen ärgerlichen Blick zu, ging eilig durch das Eingangstor und verdrückte sich gleich hinter den Monumenten der ersten Grabreihe. In kurzer Entfernung sah er die kleine Trauergemeinde hinter einem der Leichenwagen stehen. Adalgisa Morena, Ottaviano Severino und Urs Benteli sprachen mit dem Abgeordneten der Forza Italia und einem der bekanntesten Notare der Stadt. Ferner meinte er den Vorstand der Versicherung zu erkennen, von dem der Questore vor ein paar Tagen gesagt hatte, er sei mit ihm befreundet. In dieser Stadt hing wieder einmal jeder mit jedem zusammen. Die drei jungen Leute, die sich etwas abseits hielten, hatten keine Ähnlichkeit mit denen auf den Fotos. Dann glaubte er plötzlich, Ramses ein paar Grabreihen weiter zu sehen. War er es wirklich? Was hatte er hier zu suchen? Zufall? Laurenti folgte ihm mit ausreichend Abstand und ging den Weg entlang, in dem Ramses verschwunden war.
Er sah, wie der Schweizer an einem alten Grabmonument einen Strauß roter Rosen in eine Vase stellte. Ramses verharrte nur einen Moment, warf dann einen Blick auf seine Armbanduhr und ging ein paar Meter zurück bis zu einer dichten Hecke neben der kleinen Straße, die zu den Kapellen führte. Er suchte offenbar eine Stelle, von der aus er die Trauergemeinde unbemerkt beobachten konnte.
Laurenti schlich zu dem Familiengrab, an dem Ramses die Blumen abgelegt hatte. »Famiglia Leone« stand in großen Lettern über die Breite der grauen Steinstele. Man sah auf den ersten Blick, daß es die Grabstätte einer alten, einflußreichen Familie in der Stadt war. Industriale, Benefattore, Commandante, Cavaliere stand unter einigen Namen der Familienoberhäupter, die ab 1820 hier bestattet waren. Auf der Grabplatte neben den Rosen stand die Fotografie einer hübschen, jungen Frau, die fast auf den Tag genau vor zwei Jahren gestorben war: Matilde Leone, geboren in Triest, gestorben auf Malta. Laurenti notierte sich Namen und Todesdatum. Als er Malta in sein Notizbuch schrieb, stutzte er einen Augenblick. Hatte sich Ramses in der Osmizza nicht so eigenartig benommen, als von Caravaggios »Enthauptung des Johannes« die Rede war, die auf Malta hing?
Er mußte sich beeilen. Die Beerdigung würde jeden Augenblick beginnen. Ramses stand unverändert hinter der Hecke am Wegrand. Laurenti suchte eine Position, von der er sowohl den Trauerzug wie auch Ramses im Blick hatte. Doch dann traute er seinen Augen nicht. Auch Galvano hatte sich auf dem Friedhof eingefunden und sich ebenfalls eine versteckte Position gesucht. Sant’Anna schien eine große Anziehungskraft auf seine Freunde auszuüben.
»Was machst du hier?«
Ramses fuhr erschrocken herum, als Laurenti ihn von hinten ansprach.
»Ich habe ein paar Blumen zum Grab meiner Frau gebracht.«
»Komisches Grab, so eine Hecke. Es sieht eher aus, als würdest du jemanden beobachten.«
»Zufall. Ich wußte nicht, daß heute diese Beerdigung ist. Aber es ist gut, daß ich dich treffe. Ich habe schon versucht, dich im Büro zu erreichen. Deine Sekretärin gab mir allerdings deine Mobilnummer nicht, und deine Frau ging nicht ans Telefon.«
»Und was wolltest du?« fragte Laurenti argwöhnisch.
»Es ist mir etwas abhanden gekommen, das in die richtigen Hände muß. In deine. Es sind Unterlagen, die letzte Nacht zufällig von deinen Kollegen bei einer Razzia im Rotlichtmilieu beschlagnahmt wurden. Sie können mit Sicherheit nichts damit anfangen, doch bevor das Zeug in falsche Hände gerät, wollte ich dich darum bitten, mit den Leuten zu reden.«
»Wo, sagtest du?«
»Am Campo Marzio. In einem Wohnmobil.«
»Bei der
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