Tod Auf Der Warteliste
auf, daß das Pferd durchkam.
Obwohl er seit über drei Jahren keinen Fuß mehr auf diese Seite der Grenze gesetzt hatte, kannte er die Gegend noch immer gut. Nichts hatte sich auf dem Karst verändert. Luftlinie waren es nicht einmal zwei Kilometer nach Slowenien, doch querfeldein konnte er nicht reiten, denn der Untergrund war unsicher. Spitze, verwaschene Kalksteine, Mauern, die die Felder abgrenzten, und viel undurchdringbares Gestrüpp. Drakič hielt sich an die kleinen Wege und war jedesmal beunruhigt, wenn er eine der Straßen überqueren mußte, die den Karst durchzogen. Er war viel länger unterwegs, als er gehofft hatte, bis er in zweihundert Meter Entfernung schließlich einen kleinen Grenzübergang vor sich sah, der nur mit »Lasciapassare«, einem speziellen Passierschein für Einheimische, benutzbar war. Ein paar Fahrradfahrer in bunten Trikots überholten ihn und wurden ohne Kontrolle durchgewinkt. Drakič ritt los. Der italienische Zöllner wartete am Schlagbaum.
»Ich habe mich verirrt«, sagte Drakič und legte einen deutlichen slowenischen Akzent in die Aussprache. »Plötzlich war ich auf dieser Seite der Grenze. Ich habe nicht einmal Papiere dabei.«
Der Zöllner schaute den Mann, der in Jeans und Halbschuhen auf dem ungesattelten Pferd saß, mißtrauisch an. »Von wo kommen Sie?« fragte er.
»Aus Komen«, sagte Drakič und fügte »Comeno« hinzu, den italienischen Namen des Dorfes, das er gut kannte, denn von dort aus steuerte für lange Jahre einer seiner Helfer den illegalen Grenzübertritt für die jungen Frauen, die Drakičs Organisation auf den italienischen Markt gebracht hatte.
»Nehmen Sie das nächste Mal Papiere mit«, sagte der Zöllner und öffnete den Schlagbaum.
Auch die slowenische Seite machte keine Schwierigkeiten. Drakič atmete erleichtert auf. In einem leichten Trab näherte er sich dem Dorf, das auf einem Hügel vor ihm lag und dessen Dächer in der Sonne glänzten.
*
Laurenti war stinksauer. Am Samstag nachmittag waren sie schließlich ohne handfeste Beweise aus der Klinik abgezogen, und es war damit zu rechnen, daß Anwalt Romanis Drohungen keine leeren Worte blieben. Doch wenigstens hatte der Questore ihm Unterstützung zugesagt, und auch der Staatsanwalt war bei der Aktion dabeigewesen. Aber der Tag war noch nicht vorbei. Er hatte einige der Angaben, die der Schweizer gemacht hatte, überprüft und wollte ihn mit den Ergebnissen konfrontieren.
Ramses war nicht allein. Er hätte Laurenti die Blondine nicht vorstellen müssen, er konnte sich auch so denken, wer die Dame war. Sie saßen im Salon vor einem Kaminfeuer, Ramses hatte Whisky eingeschenkt.
»Die Sache ist durchaus ernst«, sagte Laurenti. »Erstens wurden keine Unterlagen in dem beschlagnahmten Wohnmobil gefunden.«
»Aber das ist nicht möglich«, sagte Silvia, die neben Ramses auf dem Sofa saß.
Laurenti beachtete sie nicht weiter. »Zweitens: Du hast keine Tochter im College von Duino. Drittens wurden die Reifen deines Wagens zerstochen. Aber es kommt noch dicker: Vor zwei Jahren hat man dich in Malta festgenommen und im Schnellverfahren ausgewiesen, weil du einen Arzt tätlich angegriffen hast. Dieser Arzt hieß Leonardo Lestizza. Eigenartigerweise warst du ausgerechnet heute vormittag auf Sant’Anna und hast Blumen zum Grab deiner Frau gebracht. Verheiratet wart ihr allerdings nicht. Die Familie Leone hat bestätigt, daß Matilde auf Malta starb und daß Lestizza der behandelnde Arzt war. Lestizza wurde, wie wir wissen, vor einigen Tagen überfallen und entmannt. In der Folge verblutete er. Ganz ehrlich, Ramses, findest du nicht, daß du ziemlich tief in der Scheiße sitzt?«
»Warum eigentlich?« Ramses lächelte. »Es stimmt, ich habe mich als Romancier ausgegeben. Zur Tarnung. Und ich war in der Tat hinter Lestizza her. Journalistisch. Das Ergebnis wirst du bald lesen können. Schade, daß du mich nicht früher gefragt hast. Silvia, laß uns bitte alleine, verzeih, ich möchte mit dem Kommissar unter vier Augen sprechen.«
Die blonde Österreicherin stand auf. »Kann ich nach Graz fahren?« fragte sie.
»Was haben meine Kollegen gesagt?«
»Ich habe dem Schnellverfahren zugestimmt.«
»Solange müssen Sie sich zur Verfügung halten. Was für eine Adresse haben Sie angegeben?«
»Hier.« Sie schaute Ramses an, dem sie das noch nicht gestanden hatte.
»An Ihrer Stelle würde ich mich mit einem Anwalt besprechen.«
»Ich kenne keinen.«
Laurenti zog sein Notizbuch aus der
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