Tod Auf Der Warteliste
das. Schau bloß einmal, wie der Bürgermeister sich geriert. Als wollte er den Großen Vorsitzenden nachäffen. Hast du Zeit für ein Mittagessen?«
»Appetitanregend war die Vorstellung soeben nicht.«
Es gab ohnehin nicht viel zu tun. Der Staatsbesuch war von den Spezialisten durchgeplant, die wenigen Entscheidungen, die auf sie in Triest zurückfielen, waren längst delegiert, und auch sonst erstickten sie in diesem Frühjahr kaum an Arbeit. Der ungewohnte Nebel, über den jeder in der Stadt schimpfte, bremste wohl auch den Tatendrang der Übeltäter. Laurenti schaute auf die Uhr. Es war zwar noch etwas früh, aber er stimmte zu.
»Wer, glaubst du, war das?« fragte Orlando.
»Keine Ahnung. Aber die Aussage ist ziemlich eindeutig. Der eine bekommt einen Schwanz, der andere einen Arsch zugeschickt. Ist doch klar.«
»Dabei können die beiden doch gar nicht besonders gut miteinander.«
»Was soll’s. Ich konnte mich vor Lachen kaum halten.«
Sie stiegen die Treppen neben dem Teatro Romano hinauf, suchten sich den Weg an San Silvestro vorbei, der kleinen Kirche aus dem elften Jahrhundert, die der Schweizer protestantischen Gemeinde gehörte, was Ettore Orlando stets als Frevel empfand.
»Die Calvinisten haben sich diese schöne romanische Kirche unter den Nagel gerissen. Man kann es kaum glauben, daß die Habsburger sie einst einfach an die Schweizer verkauften.«
Laurenti zuckte die Schultern. »Seit wann regst du dich darüber auf? So ist es eben in laizistischen Städten. Ideologiefrei lebt es sich besser, zumindest war es bis vor kurzem so. Bevor die Faschisten wieder einmal unsere schöne Stadt übernommen haben.«
»So schlimm, wie du das siehst, ist es auch wieder nicht.«
»Ach nein? Und was ist mit den ganzen Festlichkeiten, die demnächst noch auf uns zukommen? Zuerst das nationale Fest der Alpini, dann das der Carabinieri und Anfang Mai noch die Armee. Nur Blair ist uns erspart geblieben, weil Berlusconi lieber in Rom bleiben wollte. Soll er doch das Außenministerium wieder besetzen. Auch Aznar steht uns noch bevor. Ich bitte dich, das ist doch nicht normal!«
»Aber gut für die Stadt. Werbung, Proteo.«
»Und die Stadtpolizei wollen sie auf einmal auch bewaffnen. Ich seh jetzt schon die Gräber der erschossenen Falschparker vor mir. Inzwischen lassen sie sogar Postautos abschleppen.«
Sie taten das, was viele Leute in der Stadt intensiv beschäftigte, seit die neue Regierung im Amt war: Ettore Orlando und Proteo Laurenti sprachen über Lokalpolitik. Nur, Orlando wiegelte ab und beschwichtigte, während Laurenti seiner Wut freie Bahn ließ. Er sah Triest von den Revisionisten um Jahrzehnte zurückgeworfen, sowohl ideologisch als auch ökonomisch. Im Alltag mußte er als Polizist neutral bleiben und auch die größten Unverschämtheiten schlucken. Es galten die Gesetze, auch wenn sie nicht für alle gleich ausgelegt wurden. Und Laurenti fiel es sehr schwer, stillzuhalten. Von Beruf Widder, sagte einmal jemand über ihn, aus Verlegenheit Polizist: stur, leidenschaftlich, impulsiv und ungeduldig. Aber gerecht, fügte er immer hinzu, wenn sich einer über ihn wunderte.
Sie diskutierten noch immer, als sie die »Trattoria alle Barettine« in der Via San Michele betraten, und ließen sich erst durch den Wirt unterbrechen, der ihnen die Speisekarte vortrug. Laurenti entschied sich für Fusi con la gallina, ein istrisches Gericht, handgemachte Nudeln mit einer Soße von der fetten Henne. Orlando, der über einen Doppelzentner auf die Waage brachte, begann mit einem Teller Gnocchi mit Gulasch und verlangte danach Gulasch mit Polenta, während Laurenti sich beim Hauptgang auf eine Tagliata vom Pferd beschied, ohne Beilagen, aber üppig mit frischem Rosmarin gewürzt.
Während sie noch bestellten, klingelte Laurentis Telefon.
»Živa! Wo bist du?« Laurenti gab ein Handzeichen, mit dem er sich bei seinem Freund entschuldigte.
»Das frage ich dich. Erinnerst du dich überhaupt noch an mich?«
»Ich habe den ganzen Morgen versucht, dich anzurufen. Wie geht es dir?«
»So, wie es einem geht, wenn man zwei Tage vergeblich auf einen Anruf wartet. Bist du alleine?« Živas Stimme hatte schon einmal fröhlicher geklungen.
»Nein, ich bin beim Mittagessen mit Ettore. Entschuldige, es war ziemlich viel los. Ich habe dich nicht vergessen.«
»Das will ich hoffen. Wann sehen wir uns?«
»Du hast selbst gesagt, daß es vor dem Wochenende nicht geht. Heute ist Donnerstag. Morgen kommt der Deutsche,
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