Tod Auf Der Warteliste
einheimischen Rebsorten Vitovska, Malvasia und Glera anbauten. Und auf die Bahnlinie, die weiter oben verlief. Das andere Fenster öffnete den Blick nach Süden über das Meer. Hier konnte er stundenlang sitzen, egal, ob er über seinen Unterlagen brütete, las oder einfach nur Musik hörte und nachdachte. Das Haus hoch über dem Golf von Triest hatten Matilde und er vor drei Jahren gekauft und renovieren lassen.
Kapitänshaus, hatte sie es genannt.
Möwennest! Sein Einwand brachte sie zum Lachen.
»Als wenn Möwen Nester hätten«, spottete sie. »Möwen sitzen auf dem Meer oder fliegen.«
»Und wohin legen sie ihre Eier?«
»Spielverderber!«
Daran mußte Ramses gerade denken. Das war bei ihrem Einzug gewesen, als das Haus endlich fertig war, an Ostern 1998. Demnächst, an Matildes zweitem Todestag, würde er endlich zuschlagen. In der Pause zwischen dem fünften und sechsten Satz des Stabat Mater von Scarlatti, das er in letzter Zeit fast ununterbrochen hörte, vernahm er ein Knacksen, das nicht vom Feuer kam. Er hielt den Atem an, legte die Zigarette in den Aschenbecher und wartete einen Augenblick. Dann schaltete er die Musik aus, stand auf und machte das große Licht im Raum an. Er glaubte Schritte zu hören, die sich rasch auf dem Weg entfernten, der das Grundstück vom Weinberg trennte. Bisher war noch kein Mensch, der nicht erwartet wurde, über diesen Pfad zum Haus gekommen. Das Möwennest lag so versteckt, daß mit unangenehmen Besuchern kaum zu rechnen war: Für Einbrecher konnte es nicht von besonderem Reiz sein, mögliches Diebesgut mehrere hundert Meter über das steile Gelände zur Straße hinabzuschleppen.
Matilde stand im Garten einmal einem Luchs gegenüber und konnte nicht sagen, wer von beiden sich mehr erschreckt hatte. Fasane, Eichhörnchen, Elstern und Möwen und manchmal ein Fuchs zählten zu den Besuchern. Im Sommer kamen frühmorgens sogar Rehe vom ausgetrockneten Karst herab, um ihren Durst an den üppigen Reben zu stillen. Aber das waren andere Geräusche.
Ramses schaltete die Lichter der Außenbeleuchtung an und trat auf die Terrasse hinaus, ging einmal um das Haus und überprüfte das hintere Gartentor. Nichts. Es war wie eh und je mit einer starken Kette und einem Vorhängeschloß versperrt. Keine Spuren, kein Geräusch. Er ging in den Salon zurück und steckte eine neue Zigarette an, fütterte das Kaminfeuer mit zwei Scheiten Holz, setzte sich in den Sessel und grübelte. Wer sollte kurz vor Mitternacht hierherkommen? In diesem Moment sah er durch das Fenster nach Osten, wie ein Auto im Rückwärtsgang sich rasant auf der engen Via del Pucino entfernte, die parallel zur Bahnlinie lief. Die Rückfahr-Scheinwerfer waren die einzigen Lichter, die er sehen konnte. Vielleicht doch ein Einbrecher, der auf Beutezug war? Ramses schüttelte den Kopf. Unwahrscheinlich. Oder waren sie ihm doch auf die Schliche gekommen? Trotz all seiner Verkleidungs- und Verstellungskünste? Ausgeschlossen. Wo es möglich war, hatte er die Ermittlungen unter anderem Namen geführt und war sowenig wie möglich selbst in Erscheinung getreten. Bei allem Versteckspiel jedoch konnte er einen Fakt nicht verändern: seine auffallende Körpergröße.
*
Es war für Romani ein leichtes gewesen, anhand der Autokennzeichen, die der Arzt notiert hatte, die Personalien des Fahrers zu ermitteln. Die Autoverleiher machten keine Probleme in Sachen Datenschutz, als ein gefälliger Polizist in seinem Auftrag dort anrief. Schnell war klar, um wen es sich handelte. Die Suchmaschine im Internet spuckte bei dem seltsamen Namen fast dreitausend Einträge aus. Ein Journalist, der in den letzten Jahren oft von sich reden machte. Enthüllungen über die Korruptionsskandale im Élysée-Palast standen auf seinem Konto, der Sturz eines Schweizer Bundesrats ebenfalls, und auch die Aufdeckung der Kollaborateursvermögen, die seit 1945 unangetastet geblieben waren, wies seine Handschrift auf. Er saß im Vorstand einer angesehenen internationalen Journalisten-Vereinigung und hatte in verschiedenen Ländern Vorträge gehalten: »Das Ende der Legitimität – Grenzen des investigativen Jounalismus« hieß einer, »Weitermachen oder nicht? Rechtfertigt das öffentliche Interesse illegale Methoden des Rechercheurs?« ein anderer, oder: »Pressefreiheit und Privacy – Die Pflicht zur Veröffentlichung als Grundrecht der Meinungsfreiheit und der Demokratie«. Romani notierte sich die Titel. Als letzte große Geschichte, die
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