Tod Auf Der Warteliste
Seebäder, Mamaia und Eforie, wenn es Frühling und Sommer war am Schwarzen Meer. Daran dachte Vasile, um sich Mut zu machen, als man ihn eine Stunde vor dem Einlaufen in Triest zu einem Sattelschlepper brachte und er in den rostroten Container klettern mußte. Die Plombe wurde hinter ihm wieder sorgfältig verschlossen. Kein Zöllner könnte erkennen, daß sie geöffnet worden war. Es waren ohnehin zu viele Fahrzeuge, die den Hafen verließen. Unmöglich, alle zu kontrollieren. Man würde ihn nicht entdecken.
Einen Tag später hörte er zufällig die Worte, die ihn in Panik versetzten: Pankreas, Herz, Lunge, Leber – und seinen Namen. Vasile hatte Todesangst.
Und jetzt? Er war auf der Flucht, ohne das Geld und nicht einmal in seinen eigenen Kleidern. Er trug nur die grasgrüne Schürze und hellblaue Gummipantoffel. Sie hatten die weiße argentinische Dogge auf ihn gehetzt, als sie ihn weglaufen sahen. Vasile hatte sie mit einem Knüppel erledigt, als sie ihn anfiel und fast zu Boden warf. Die Wunden in seiner Schulter waren tief und schmerzten. Er wußte nicht, wie viele Kilometer er durch Gestrüpp und Wald und über scharfkantige Steine gehetzt war. Er kannte nicht einmal die Richtung. Vasile hatte nur ein Ziel: so schnell wie möglich so weit wie möglich von der Klinik wegzukommen. Nach einer Stunde im dichten Nebel stolperte er einen mit wildem Salbei bewachsenen Abhang hinunter und kam an die breite, stark befahrene Straße über dem Meer. Er spürte, daß er sie meiden mußte. Aber es gab keinen anderen Ausweg. Gebückt hastete er im Schutz der Begrenzungsmauer weiter. Einmal kam er an einer Bushaltestelle vorbei und las den Namen der Stadt, in deren Richtung er ging: Triest.
Die Sirenen weckten ihn. Er sprang auf, versuchte krampfhaft, die Müdigkeit abzuschütteln und einen klaren Kopf zu bekommen. Plötzlich begriff er, daß den ersten drei Fahrzeugen andere folgen mußten. Das hatte er oft genug in Bukarest beobachtet, wo er vor einem halben Jahr vergeblich Arbeit gesucht hatte. Halbverhungert war er damals nach Hause zurückgekehrt und hatte schließlich durch den Freund eines Freundes erfahren, was er tun mußte, um aus der Misere herauszufinden.
Die Sirenen wurden lauter. Das war seine Chance. Vasile mußte seine Kräfte sammeln und im richtigen Moment auf die Straße kommen. Das mußte ihm gelingen, wenn er überleben wollte. Er richtete sich auf, setzte die Füße auf die Mauer und stützte sich mit den Händen ab. Als er die blauen Lichter durch den Nebel blitzen sah, sprang er.
*
Das Treffen zwischen den beiden Regierungschefs war während der Konferenz der zentraleuropäischen Staaten im November entschieden worden. Dem neuen Bürgermeister war es gelungen, Berlusconi davon zu überzeugen, daß es wichtig sei für Triest, auch einmal als Parkett für die internationale Politik zu dienen. Außerhalb seiner Koalition stand er damit ziemlich alleine. Doch Berlusconi nahm die Einladung an und versprach, im nächsten Jahr zuerst Tony Blair, danach den deutschen Kanzler und schließlich den spanischen Kollegen Aznar in Triest zu empfangen. Nur sollte die neue Beleuchtung auf der Piazza Unità herabgedreht werden, es sei sogar heller als in Wien. Außerdem hätten die blauen Lichter zu verschwinden, die nach dem Konzept eines französischen Stararchitekten bei der Neugestaltung in das Pflaster des großen, zum Meer hin geöffneten Platzes eingelassen waren. Um was sich Berlusconi alles kümmern mußte! Neue Freunde machte der Regierungschef sich damit in der Stadt allerdings nicht. Einige vom Regionalfernsehen interviewte Passanten waren der Ansicht, er solle eben nach Wien gehen, wenn es ihm hier zu hell sei. Auch der Bürgermeister, der, wie man munkelte, von stärkeren politischen Kräften vorgeschoben worden war, verbesserte mit seinem unterwürfigen Gehorsam nicht den kläglichen Eindruck, den er seit seinem Amtsantritt machte.
Schon 2001 hatten zwei hochrangige internationale politische Treffen in Triest stattgefunden und das Zentrum paralysiert. Das G8-Umweltministertreffen im Frühjahr und INCE, die Konferenz der zentraleuropäischen Staaten, im Herbst. Zweimal war die Innenstadt für vier Tage weiträumig abgesperrt, ohne Passierschein kam niemand durch. Beide Male hingen an vielen Türen von Bars und Läden handgeschriebene Schilder mit der Aufschrift »Chiuso per G8« und »Chiuso a causa dell’INCE«. Der Verkehr drückte sich in diesen Tagen umständlich und im
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