Tod Auf Der Warteliste
Aber nur wir, keine Frauen. Frauen auf See bringen Unglück.«
»Kein netter Empfang für die Regierungschefs«, murmelte Miraporte. Dabei öffnete er kaum den Mund und schaute wie teilnahmslos zum Seitenfenster hinaus.
Laurenti verzog verächtlich den Mund. »Diese strahlendweißen Gebisse sind stärker als die Sonne. Sie durchdringen jeden Nebel.«
Sie passierten den Felstunnel, an dessen Einfahrt seit über einem halben Jahr ein schwarzes Hakenkreuz und Parolen der Faschisten aufgesprayt waren, was offenbar keinen störte. Auch auf dem Aussichtsplatz direkt dahinter prangte das Zeichen mit fast einem Meter Durchmesser auf einer Gedenktafel mit einem Gedicht von Umberto Saba. Unübersehbar für jeden, der in die Stadt wollte, unübersehbar auch für die Touristen, die dort fast alle einen kurzen Halt einlegten, um den überwältigenden Blick aufs Meer zu genießen. Und unübersehbar für alle Politiker, die die Stadt besuchten.
Dann sahen sie plötzlich nur noch rote Bremsleuchten vor sich.
»Merda!« schrie Sgubin. Er bremste scharf, riß das Steuer herum und versuchte den Wagen an den anderen vorbeizuziehen. Keine Chance. Sie schrammten unüberhörbar an dem Lancia vor ihnen entlang. Und hinten hörten sie das Geräusch quietschender Reifen und den dumpfen Knall aufeinanderprallenden Blechs.
Miraporte war mit entsicherter Maschinenpistole aus dem Wagen gesprungen und suchte Deckung hinter dem Kotflügel. Laurenti kniete hinter der halbgeöffneten Tür und hielt die Beretta mit beiden Händen umfaßt. Das gleiche Bild boten gut dreißig andere Beamte. Querstehende Limousinen. Dichter Nebel, in dem die blauen Lampen blitzten. Totenstille für Sekunden. Nichts zu sehen.
»Roter Alarm!« schnarrte der Lautsprecher. »Roter Alarm!«
Dann tauchten aus dem Nebel die Scheinwerfer der ersten Wagen der Kolonne wieder auf, die unbehindert weitergefahren waren. Es ging alles sehr schnell. Laurenti sah, wie der deutsche Kanzler von einem Haufen Männer in eines dieser Fahrzeuge verfrachtet wurde, das sofort davonraste. Jetzt schoben sich andere Fahrzeuge aus der Kolonne und einer der Krankenwagen so dicht an ihm vorbei, daß Laurenti sich eng an den Alfa Romeo drängen mußte. Nach wenigen Metern verschwanden die Lichter im Nebel. Dann herrschte Stille.
Roter Alarm bedeutete, daß oberste Priorität dem Schutz des Staatsgastes galt. Auf Leben und Tod. Die nicht auf Personenschutz ausgebildeten Beamten des Begleittrosses hatten das Terrain zu sichern und, falls nötig, vor Ort zu kämpfen.
Laurenti und Sgubin rannten, die Waffen im Anschlag, zu der Stelle, wo das Kanzlergefährt zum Stehen gekommen war. Ein Meter hinter der gepanzerten Limousine lag ein nackter Mann bewegungslos in einer dicken Blutlache auf der Fahrbahn, sein Kopf wurde von einem Krankenhauskittel verdeckt. Ein paar hellblaue Gummischuhe hoben sich einige Meter entfernt von der schwarzen, vor Nässe glänzenden Fahrbahn ab. Ein Bein und ein Arm waren in einem unnatürlichen, spitzen Winkel vom Körper weggedreht, von seinem Geschlecht bis zum Brustkorb führte eine breite dunkle Reifenspur und verschwand, wo das grüne Tuch Schultern und Kopf bedeckte.
Aus dem Krankenwagen sprangen zwei Sanitäter und beugten sich über den Körper, während die Polizisten noch versuchten, einen Überblick über die Situation zu bekommen.
»Tot!« sagte einer der Sanitäter. »Nichts mehr zu machen.«
»Was?« fragte Laurenti.
»Tot.«
»Wodurch?«
»Der Aufprall. Der Wagen hat ihn der Länge nach überfahren. Der Kopf ist Brei.«
»Was ist vorne los?« rief Laurenti.
»Nichts!« Sgubin kam auf ihn zu. »Es sieht so aus, als wäre er alleine gewesen.«
Laurenti überwand sich endlich und beugte sich über den Toten. Mit einer Handbewegung befahl er, daß man den Kittel hob. Ein weit geöffnetes blaues Auge starrte ihn an. In das andere war Blut gelaufen. Aus Ohr und Hinterkopf rann Flüssigkeit auf den Teer.
»Deckt ihn zu«, sagte Laurenti zu den Sanitätern.
»Einen Moment noch!« Es war ein Zivilbeamter in teurem Zwirn aus der Begleittruppe, an dessen Revers ein Plastikschild baumelte, das ihn als Mitglied einer Sonderabteilung des Innenministeriums auswies. »Wir haben ihn noch nicht gesehen.«
Trotz des Nebels verdeckte eine mächtige Sonnenbrille sein Gesicht. Mit einer ausholenden Armbewegung winkte er ein paar Männer herbei. Dann steckte er sich eine Zigarette an.
»Ihre Leute sollen weiter sichern!« wies er Laurenti an, als er sah, daß
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