Tod Auf Der Warteliste
hielt ihm die rechte Hand hin. »Aber dann müssen Sie das auch bei meinem Kollegen tun. Zuerst, denn er ist Rentner und hat nicht viel Zeit.«
»Die linke, bitte.«
»Die kommt von Herzen, nicht wahr?«
Cluzot stellte sich plötzlich zwischen ihn und den Sanitäter. Ein leises Knurren hielt den Mann auf Distanz.
»Setz dich, Kollege«, sagte Laurenti. »Die wollen uns nichts Böses.«
»Kollege?«
»Aber ja! Leider hat auch er seinen Ausweis nicht dabei. Wir sind immer so vergeßlich.«
»Was macht er denn beruflich?«
»Er ist Polizist. Wie ich.«
»Und ich bin Schneewittchen.« Der Sanitäter verdrehte die Augen.
»Nein, der da ist Schneewittchen.« Laurenti zeigte auf den weißen Helm des Vigile zu seiner Linken. »Sie sind Rotkäppchen.« Er zupfte den Sanitäter am Ärmel seiner roten Jacke, wurde aber vom Klingeln seines Mobiltelefons unterbrochen.
»Ich bin’s, Živa. Wo bist du?«
»Auf dem Weg ins Irrenhaus. Ich kann jetzt nicht, Schatz. Ich rede gerade mit Schneewittchen und Rotkäppchen. Stell dir mal vor, sie stehen beide vor mir.«
»Was ist los mit dir? Bist du krank?«
»Erzähle ich dir später. Geht es Freitag? Sag bitte ja. Ich ruf dich nachher zurück.« Er wartete die Antwort nicht ab und steckte das Telefon in die Jackentasche. »Also, meine Herren, gehen wir. Kommen Sie alle mit, ich spendiere einen Kaffee.«
Doch die Wand aus zwei Sanitätern und zwei Stadtpolizisten, die ihn umringte, wich nicht zurück.
»Was ist? Keine Lust, Rotkäppchen? Der böse Wolf hier will endlich wieder in sein Büro. Und ich, ehrlich gesagt, auch. Und meinen Personalausweis kann ich Ihnen dann auch zeigen.«
»Schauen wir doch mal, wo er hingeht«, sagte einer der Sanitäter und trat einen Schritt zurück.
Merkwürdige Prozession! Laurenti und Cluzot waren zwei Schritte vor den anderen, als sie die Eingangshalle der Questura durchquerten. Die beiden Vigile blieben wie angewurzelt stehen, als sie sahen, daß die Beamtin am Eingang Laurenti grüßte. Die Sanitäter warfen den Stadtpolizisten grimmige Blicke zu und drehten ab.
»Aber Sie kommen mit«, sagte er zu den Vigili. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
»Drei Kaffee, bitte, Marietta«, rief Laurenti fröhlich, als er das Vorzimmer seines Büros betrat. »Wir haben hohen Besuch. Und wenn du so freundlich wärst, Cluzot ein bißchen Wasser zu geben! Also, kommen Sie, meine Herren.« Doch die Vigili nahmen ihre Helme ab, murmelten eine Entschuldigung und machten auf dem Absatz kehrt. Sie waren nicht aufzuhalten.
»Und das Wasser für den Hund?« fragte Laurenti lachend.
»Das kannst du auf der Toilette holen«, sagte Marietta gehässig.
»Danke, sehr freundlich, mein Liebling.« Laurenti schnitt eine Grimasse. »Du hast wohl schlecht gegessen!«
Er nahm den neuen Napf des Hundes und ging pfeifend den Flur hinunter. Laurenti verstand selbst nicht, weshalb er plötzlich so fröhlich war. Vielleicht wegen der Aussicht, Živa am Freitag wiederzusehen? Er mußte sie gleich zurückrufen.
*
Nur alle paar Wochen kamen die türkischen Fernfahrer nach Hause. Während ihre Fahrzeuge die Überfahrt mit dem Schiff machten, nahmen sie von Ljubljana aus eine vom Reeder gecharterte Maschine. Wenn ihre LKWs drei Tage später ankamen, hatten die Fahrer bereits ihre Ruhezeit hinter sich und mußten wieder in die Fron. Trotzdem sahen sie ihre Heimat nicht öfter als alle drei bis vier Wochen. Meistens tauschten sie in Triest nur die Lastenauflieger aus und nahmen dann die Tour durch Westeuropa wieder auf. Die Kontrollen der Behörden wurden immer schärfer, weshalb der Triestiner Hafen nicht das beliebteste Ziel der Fernfahrer war. Seit einem Jahr verbot eine Verordnung, daß sie wie bisher ihre Mahlzeiten auf Gaskochern zwischen den enggeparkten Fahrzeugen zubereiten konnten. Auch gab es kaum WCs oder Bäder in der Nähe. Nach dem 11. September war auch der Tonfall der Zöllner schärfer geworden. Viele beschwerten sich darüber. Die Türken waren Kunden, die man schlecht behandeln durfte.
Durchleuchtungsanlagen für ganze Lastzüge, wie sie die Engländer einsetzten, gab es in Triest noch nicht, doch die Überprüfungen waren mehr als gründlich, und fast täglich las man im »Piccolo« von illegalem Frachtgut. Rauschgift, geschmuggelte Chesterfield-Zigaretten für England, gefälschte Markenkleidung für Italien oder CD-Pressungen für den gesamteuropäischen Markt. Auf dem Landweg war erst kürzlich ein Lastwagen mit
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