Tod Auf Der Warteliste
schlagartig wach, als er die Stimme erkannte. Das war die Nachricht, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. In die Sache kam endlich Bewegung. Sein Informant aus Basel nannte die Ankunftszeit des Privatjets auf dem Flughafen von Triest: Punkt elf Uhr. Abflugsort der internationale Flughafen von Mulhouse/Basel mit Zwischenstopp in München, damit die Ankunft in Triest ohne Paßkontrolle verlief. Der Verwaltungsratspräsident eines mächtigen europäischen Chemiekonzerns flog offiziell zu einem Erholungsurlaub an die Adria, in eine über die Grenzen hinweg berühmte Privatklinik, die ihn wieder in Form bringen und zum Nichtraucher machen sollte, wie es offiziell hieß. Eine beliebte Ausrede. In Wahrheit stand der achtundfünfzigjährige Spitzenmanager schon seit Jahren auf der Warteliste der Organbank und konnte nicht länger warten, seit sich sein Gesundheitszustand rapide verschlechterte.
Ramses legte zufrieden auf. Das war die letzte Bestätigung, die noch gefehlt hatte. Er führte ein paar Telefonate und vereinbarte das Treffen für Samstag. Die Sonntagsausgabe von »La Repubblica« würde den Artikel bringen. Es war nur eine Sache der Logik, daß die Klinik zu Beginn der nächsten Woche den illegalen Eingriff vornehmen würde. Der Laden funktionierte offensichtlich, auch wenn Lestizza nicht mehr unter den Ärzten war. Doch dazu würde es nicht kommen. Sein Artikel war präzise recherchiert und die Beweismittel beigefügt. Weder für die Redaktion noch für ihn bestand die Gefahr, in einem möglichen Prozeß zu unterliegen. Die Ordnungskräfte kämen gar nicht umhin, sofort einzuschreiten. Ramses’ Liste der spektakulären Enthüllungen ergänzte sich um einen weiteren Coup, sein Konto um eine beträchtliche Honorarzahlung. Der Artikel konnte nur am Sonntag erscheinen. Der nächste Arbeitstag war Montag, dann wäre es zu spät. Die Friedhofsverwaltung gab ihm die telefonische Auskunft, daß Leo Lestizzas Beisetzung für Samstag vormittag vorgesehen war. In der Todesanzeige war der Termin nicht genannt worden. Lorenzo Ramses Frei war zufrieden. Alleine war er stark. Das mußte so bleiben. Die Zweifel waren verflogen. Er mußte noch ein paar Tage überstehen. Die Zweitausfertigung des Materials war bei Silvia gut aufgehoben. Es konnte nichts schiefgehen. Am Montag würde er die Schlüssel des Hauses dem Makler übergeben, so wie er es von Anfang an geplant hatte.
Das Ergebnis seines morgendlichen Kontrollgangs bereitete Ramses Sorgen. Schon um acht Uhr sah er den weißen Uno mit dem Lackschaden auf dem Parkplatz stehen. Es war unverkennbar das Auto, das schon am Flughafen auf ihn gewartet hatte. In regelmäßigen Abständen zog Zigarettenqualm aus den halbgeöffneten Seitenfenstern. Doch noch etwas anderes bereitete ihm Unbehagen. Der Uno parkte direkt vor einem Wohnmobil mit Grazer Autonummer. Es konnte nur das Fahrzeug von Silvia sein. Ramses fluchte. Es war dumm von ihr, dort auf ihn zu warten. Er mußte verhindern, daß die beiden Bluthunde im Fiat begriffen, daß es doch eine Möglichkeit gab, ihn unter Druck zu setzen.
Ramses eilte ins Haus zurück, zog einen grauen Overall, in dem er normalerweise die Gartenarbeit verrichtete, über seinen grauen Dreiteiler und klemmte die Waffe in den Bund. Er nahm den hinteren Ausgang und versuchte, so leise wie möglich durch das raschelnde Laub den Weg zur Via del Pucino hinaufzugehen. Immer wieder drehte er sich um und vergewisserte sich, daß ihm niemand folgte. Einmal erschrak er. Der nette Winzer aus Santa Croce, dem der Weinberg nebenan gehörte, begrüßte ihn mit lauter Stimme, doch Ramses blieb nicht wie üblich stehen, um Freundlichkeiten auszutauschen und übers Wetter zu plaudern. Er murmelte einen kurzen Gruß und eilte weiter. Der Mann schaute ihm kopfschüttelnd nach.
Er eilte an den Bahngleisen entlang bis zu einem überwucherten Pfad, der zur Küstenstraße hinabführte. Einmal riß er sich die Hand an einer wilden Brombeere auf und wischte das Blut am Hosenbein ab. Dann lief er die letzten Stufen hinunter, überquerte die Straße und sprang über die kleine Begrenzungsmauer auf ein brachliegendes Grundstück. Am schrundigen Stamm eines Khaki hangelte er sich so weit hinauf, bis er die unterste Querstange des Eisengeländers, das den Parkplatz abgrenzte, zu fassen bekam und er sich ein Stück hochziehen konnte. Als er sah, daß das Wohnmobil zwischen ihm und dem Fiat stand, kletterte Ramses über das Geländer, zog die Pistole heraus und
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