Tod Auf Der Warteliste
vorbei auf die große, autofreie Piazza Unità zu fahren. Die Tische vor dem Caffè degli Specchi, auf die die Morgensonne fiel, waren gut belegt von blondierten mittelalterlichen Triestinnerinen mit kleinen Hunden. Jetzt mußte es schnell gehen.
»Halt an!« Der Fahrer bremste. Zwei Schüsse ins Zündschloß ließen den Motor absterben. Die beiden Vigili urbani vor dem Rathaus schauten herüber und setzten sich in Bewegung. Ramses stieg aus und rannte die Via Diaz hinunter. Einige Ecken weiter hörte er seinen Namen rufen.
»Da ist ja unser Schweizer Pharao.« Es war Galvano. »Hast du’s eilig?«
»Probleme mit dem Magen. Ich brauch dringend eine Toilette.«
»Geh hoch in meine Wohnung.« Galvano klimperte mit dem Hausschlüssel und schloß die Tür des Palazzos auf, aus dem er herausgekommen war. Im Aufzug trat Ramses von einem Bein aufs andere.
»Ich mache dir einen Schwarztee. Du wirst sehen, das hilft«, sagte Galvano und verschwand in der Küche, während Ramses sich im Bad einschloß, eine Zigarette ansteckte und sich auf den Rand der Wanne setzte. Draußen hörte er Geschirr klappern.
Es war nicht einfach, den Ratschlägen Galvanos wieder zu entfliehen, doch andererseits hatte Ramses auch keine Eile, auf die Straße zurückzukommen. Ganz sicher hatte ihn jemand gesehen und die Richtung beschrieben, in die er gegangen war. Er bat Galvano, ihm einen Mantel zu leihen, weil er Schüttelfrost habe. Dann ging er der Glaubwürdigkeit halber noch einmal ins Bad.
»Ich fahr dich nach Hause. Deinen Wagen kannst du später holen. Laß dich irgendwann von Laurenti mitnehmen«, sagte Galvano. »Oder von Laura. Sie ist wirklich eine feine Frau.«
*
Am Freitag sollte Severino noch einmal zur Friedhofsverwaltung auf Sant’Anna fahren. Diesmal hatte seine Sekretärin zuvor angerufen und sich vergewissert, daß die Dokumente wirklich fertig waren und ihr Chef den langen Weg nicht umsonst machen mußte.
»Wenn du willst«, sagte er zu Dimitrescu, »nehme ich dich wieder mit. Danach bringe ich dich dann zu den Pferden.«
An diesem Morgen war der Arzt schweigsamer als sonst. Dimitrescu zog einen Stadtplan aus der Türablage und blätterte darin. Aufmerksam verfolgte er die Straßen, die der Arzt nahm, und fand sie in der Karte wieder.
»Diesmal wartest du im Auto«, sagte Severino, zog die Zigaretten aus der Tasche und gab sie Dimitrescu. »Ich bin gleich zurück.«
Vor dem Friedhof war allerhand los. Er ließ das Fenster herunter und beobachtete, wie sich die Menschen in Gruppen hinter dem Tor einfanden, um kurz darauf dem Leichenwagen die kleine Straße hinauf zu den Begräbniskapellen zu folgen. Die Trauerfeiern schienen im Akkord abgehalten zu werden. Ständig neue Gruppen, ständig neue Fahrzeuge.
Severino kam nach einer Viertelstunde zurück, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schimpfte, daß es so lange gedauert habe.
»Heute kann ich dir keinen Kaffee anbieten«, sagte er. »Ich muß rasch zurück.«
Und wieder prägte sich Dimitrescu aufmerksam die Straßen ein, die sie zurück auf den Karst brachten. Sein Plan wurde immer präziser.
*
Proteo Laurenti parkte den Wagen kurz nach zwölf unterhalb des Faro della Vittoria, des weißen Leuchtturms, der 1927 hier errichtet wurde, zum Gedenken daran, daß am Ende des Ersten Weltkriegs die Italianità Triests über die Zugehörigkeit Habsburgs gesiegt hatte. Seit einigen Jahren hatte sein Freund Franco die alte Trattoria am Fuß des Turms übernommen, und Laurenti war zu einem der Stammgäste geworden. Doch seit sie an der Küste wohnten und das Dorf Santa Croce so nah war, verspürte Laurenti immer wieder ein schlechtes Gewissen, weil er die »Trattoria al Faro« etwas vernachlässigte.
Laurenti wollte mit Cluzot noch ein paar Schritte gehen, bevor Živa kam. Er hatte weder die Plastiksäckchen noch eine Leine dabei, doch außerhalb des Stadtzentrums war das nicht weiter bedenklich. Hier tauchten die Vigili urbani nur sehr selten auf. Er stieg die Scala Sforzi hinauf, und der Hund lief freudig einige Schritte voraus. Die Sonne stand hoch über der Stadt, Laurenti legte seine Jacke über den Arm und genoß den Blick hinab auf den alten Hafen. Einige Segler waren draußen, einer von ihnen hatte einen Spinnaker gesetzt, der wie ein riesiger Tropfen Merlot auf dem Meer zu schweben schien.
Eine Viertelstunde später kamen sie zurück. Živas Wagen stand noch nicht vor der Tür.
Franco begrüßte sie lachend. »Ist das der
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