Tod den Unsterblichen
hören es nicht.«
»Einer hört es«, sagte Masatura-san.
»Die Alten sprechen endlos leise«, wimmerte der kranke Mann.
»Ich höre es«, sagte Masatura-san und kehrte sich in sich. Er hockte sich hin und betrachtete die Sterne und den Zaun. Draußen herrschte sogar zu so später Stunde noch Lärm auf dem Campus – Stimmen, Fahrzeuge.
Er dachte gründlich darüber nach, was er tun wollte.
Masatura-san war ein Tai-i durch seine Stärke und sein Wissen, aber auch durch seine Abstammung. Als die Japaner von dem torpedierten Zerstörer 1944 zu seiner Insel gelangten, hatten sie eine blühende Gemeinschaft angetroffen. Das japanische Blut in Masaturasans Stammbaum rührte nur von dieser Generation her. Schon davor waren seine Ahnen teilweise exotisch gewesen. Die zwölf Japaner waren nicht die ersten Seeleute, die an die Küste gespült wurden. Ein »Masatura-san« war ein »Masterson« gewesen. Englische Väter und melanesische Mütter hatten eine kräftige Rasse hervorgebracht – nachdem die sich dagegen auflehnenden Melanesier getötet worden waren. Wie die Engländer vor ihnen wiederholten die Japaner den Kreuzungsprozeß, und sie ließen dabei nur wenige Männer am Leben.
Zu diesen wenigen gehörte Tai-i Masatura-sans Urgroßvater. Er wurde aus einem einzigen Grund verschont: Er war der Oberpriester der Gemeinschaft, schon seit fast einem Jahrhundert; die Insulaner wären für ihn gestorben; was viele auch taten.
Dreihundert Jahre später hatte seine dritte Generation manche seiner Gaben geerbt. Eine davon war das »Tiefriechen« – kein Schnüffeln mit der Nase, sondern ein ganz anderes Sinnesorgan. Eine weitere war das Alter. Masatura-san war fast ein Jahrhundert alt. Das war das einzige, das er von den Besitzern der seltsamen leisesprechenden Stimmen geheimzuhalten vermochte, die ihn auf seiner Insel entdeckt und ihm so viel für seine Hilfe versprochen hatten.
Der »Tiefgeruch« der Welt jenseits der Barrikaden war sehr schlecht.
Tai-i Masatura-san dachte gründlich nach und faßte dann einen Entschluß. Er ging zur Hütte und schubste seinen Adjutanten mit dem Fuß: »Splech nog zweimal mit dies Kell«, befahl er in Pidginenglisch. »Ich helfen.«
Cornut verließ seine Frau, die entspannt lächelte und fest schlief. »Ich komme zurück«, flüsterte er und eilte mit Sergeant Rhame hinaus auf den Campus. Ein Wind kam auf, und Sterne brachen durch die jagenden Wolken. Auf dem Campus herrschte reges Treiben. Bei der Universitätsklinik warteten immer noch Hunderte von Leuten, nicht weil sie auf Impfung hofften – die Tatsache, daß der Impfstoff wirkungslos blieb, war bekanntgegeben worden –, sondern weil sie nicht wußten, wohin sie sonst gehen sollten. In der Klinik schufteten Mediziner unablässig und wiederholten ständig die gleichen Experimente, weil sie nicht wußten, welche anderen sie machen sollten. In der ersten Stunde hatten sie entdeckt, daß aus den betreffenden Archiven drei Jahrhunderte der Epidemiologie gestohlen worden waren; sie konnte nicht hoffen, sie in absehbarer Zeit zu ersetzen, aber sie konnten nicht umhin, es wenigstens zu versuchen. Die Hälfte der Mediziner war selbst krank, hielt sich zwar noch auf den Beinen, doch schon zum Tode verdammt.
Cornut machte sich Sorgen, nicht um sich, sondern um Locille. Als er an die Expedition zurückdachte, fielen ihm die Spritzen ein, die St. Cyr sich selbst gegeben hatte, und er hielt es für höchst wahrscheinlich, daß jeder sie bekommen hatte, um gegen die Pocken immun zu werden. Aber Locille? Sie hatte nichts bekommen.
Er hatte Rhame schon von den Spritzen erzählt, und Rhame hatte das sofort an das Polizeipräsidium durchgegeben; sie wollten die Funkverbindung mit der Insel aufnehmen und versuchen, die Ärzte ausfindig zu machen, die die Injektionen vorgenommen hatten. Keiner von ihnen hatte große Hoffnung. Die Unsterblichen hatten bestimmt alle Spuren dessen verwischt, was ihren Angriff auf die kurzlebige Masse der Menschheit zum Stillstand bringen könnte. Aber dieser Gedanke ließ eine logische Folgerung zu: Wenn die Unsterblichen den Impfstoff entwendet hatten, befand er sich jetzt in ihrem Besitz.
Die Ureinwohner warteten auf sie. »Sie haben uns gerufen«, sagte Cornut – es war eine Frage; er konnte es noch immer nicht recht glauben –, und Masatura-san nickte und ergriff seine Hand.
Rhame blinzelte sie benommen an. Cornut hatte auch ihm drei tüchtige Schlucke eingeflößt – nicht weil Rhame irgendwelche
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