Tod den Unsterblichen
Zimmertemperatur, in der Cornut sich wohl fühlte. Aus dem Hintergrund erklang gedämpfte Musik, zu leise, um die Melodie zu erkennen. Und diese Leute waren – sonderbar.
Er ignorierte Jillson, Master Carls Mörder, an den er sich von der Gerichtsverhandlung her erinnerte. Der fette Mann blinzelte ihn an. »Se-na-tor Dane«, sagte St. Cyr. »Und Miß May Kerbs.«
Miß May Kerbs war diejenige, die gelacht hatte. Sie schwenkte zu Cornut herum und sah wie ein Teenager im ersten Ballkleid aus. »Wir haben von Ihnen gesprochen«, sagte sie schrill, und Cornut erkannte, mit einem physischen Schock, daß sie überhaupt kein Teenager war. Sie glich plötzlich der Südamerikanerin, die er auf der Expedition getroffen hatte; ihre Züge waren sich nicht ähnlich, aber das Stadium ihres Verfalls war identisch. Das Gesicht unter der Schminke war das eines Totenkopfes. Sie war fünfzig – nein, fünfundsiebzig – nein, sie war älter als das; sie war älter, als er es sich bei einer Frau, die wie ein kesses Mädchen gekleidet war, gern vorstellte.
Cornut ertappte sich dabei, daß er die Vorstellungen groteskerweise erwiderte. Er konnte den Blick nicht von der Frau abwenden. Über ihn gesprochen? Was hatten sie gesagt?
»Wir wußten, daß Sie hierherkommen würden, Kumpel«, sagte der Mörder Jillson freundlich. »Sie glauben, daß wir das Kind ermordet haben.«
»Das Kind?«
»Master Carl«, erklärte Jillson. Er hatte einen Grund, huschte es Cornut durch den Sinn. Seltsamerweise kam dieser Gedanke ihm in Jillsons stammelnder Sprechweise.
»A-ber set-zen Sie sich doch, Ma-ster Cornut.« St. Cyr lud ihn mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. Höflich glättete die Frau aquamarin- und türkisfarbene Kissen auf einem Diwan.
»Ich möchte mich nicht setzen!«
»Nein. Aber ich bitte Sie darum.« St. Cyrs bläuliches Gesicht war nur höflich.
Der fette Mann keuchte: »Pech, junger Mann. Wir wollten ihn nicht um die Ecke bringen, ich meine, warum die Mühe? Aber er wurde lästig. Jedes Jahr«, erklärte er strahlend, »werden uns ungefähr ein halbes Dutzend wirklich lästig, meistens solche wie Sie, manchmal solche wie er. Der Haken bei ihm war, daß er im Archiv nach dem Geheimmaterial schnüffelte. Tja«, sagte er streng und hob einen fetten Finger, »dieses Material ist aus einem bestimmten Grund geheim.«
Cornut setzte sich schließlich hin, weil er nicht anders konnte. Es lief überhaupt nicht so, wie er es erwartet hatte; sie stritten nichts ab. Aber zuzugeben, daß sie Carl getötet hatten, um irgendeine unwichtige Statistik über Volkszählungsdaten zu schützen? Das gab keinen Sinn!
Die aufgetakelte Blondine lachte schrill.
»Verzeihen Sie bitte Miß Kerbs«, sagte der fette Mann. »Sie findet Ihre Anmaßung komisch, beurteilen zu wollen ob unsere Handlungen sinnvoll sind oder nicht. Aber glauben Sie mir, junger Mann, sie sind sinnvoll.«
Cornut merkte, daß er mit den Zähnen knirschte. Dieses einseitige Gespräch, bei dem die Antworten erfolgten, ehe die Fragen ausgesprochen waren, diese seltsamen, halb verständnisvollen Bemerkungen …
Es war so, als könnten sie seine Gedanken lesen.
Es war so, als wüßten sie alles, was in seinem Kopf vorging.
Es war so, als wären sie – aber das war unmöglich! Er dachte: Nein, das kann nicht sein! Carl hat es untersucht!
Der verdammte alte Narr.
Cornut fuhr zusammen. Der Gedanke wurde von der keuchenden Stimme des fetten Mannes ausgesprochen, und ihm fiel ein, wo er diese Worte schon einmal gesehen hatte.
Der fette Mann nickte, wobei sein Doppelkinn wie eine Qualle wabbelte. »Wir haben die Platte für ihn entwickelt«, kicherte er. »O ja. Es war nur ein Scherz, denn wir wußten, daß er nicht am Leben bleiben würde, um uns deswegen Schwierigkeiten zu machen. Sobald er die Analyse des Wolgren besaß, mußte er beiseite geschafft werden.« Er sagte höflich: »Schade, denn wir wollten gern, daß er seinen Beweis veröffentlichen würde, daß Telepathie unmöglich sei. Es stimmt. Was ihn betrifft. Aber nicht, was uns betrifft. Und leider auch nicht, was Sie betrifft, mein junger Freund.«
Mit einem Schauder wachte Locille auf und tastete sofort hinüber zu Cornuts Bettseite, aber er lag nicht dort.
Sie knipste die Zimmerbeleuchtung an und schaute auf den nächsten der aufgereihten Wecker; ein Uhr morgens.
Sie stand auf, sah aus dem Fenster, horchte an der Korridortür, schaltete das Radio an, schüttelte das Mikrofon der Universitätssprechanlage, um sich
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