Tod den Unsterblichen
auf ihn gerichtet, während Jillson ihn methodisch bewußtlos drosch. Und die ganze Zeit flüsterten sie!
St. Cyr sagte mild: »Schluß damit!«
Es war Zeit zu einer neuen Pause. Es war die fünfte Tracht Prügel innerhalb von sechs oder sieben Stunden gewesen; in den Pausen hatten sie ihn verhört: »Sa-gen Sie uns, was Sie be-grif-fen ha-ben, Cornut.«
Die Keule hatte ihm Gehorsam eingepaukt. »Sie sind eine weltweite Organisation«, sagte er folgsam, »der nächsten Spezies nach der Menschheit. Das begreife ich. Sie müssen überleben, und es ist Ihnen egal, ob wir übrigen das tun. Durch Ihre telepathischen Fähigkeiten suggerieren Sie einigen Personen den Selbstmord, die die Kraft in latenter Form …« Bums!
»In ver-küm-mer-ter Form«, verbesserte St. Cyr, als Cornut sich nach dem Hieb mühsam aufzurichten versuchte.
Er hustete und sah Blut auf seinem Handrücken. Aber er sagte nur: »In verkümmerter Form besitzen. Wie ich.«
»Verkümmerungen der Mutationen«, kicherte der Senator. »Erfolglose Bemühungen der Natur, uns zu schaffen.«
»Ja. Verkümmerungen der Mutationen, erfolglose Bemühungen. Das bin ich«, plapperte Cornut ihm nach. »Und – und Sie sind fähig, viele Dinge zu suggerieren, solange das Gegenüber das – das verkümmerte Talent hat und solange Sie fähig sind, seinen Verstand zu erreichen, wenn er noch nicht hellwach ist.«
Die Blondine sagte: »Ausgezeichnet! Sie sind ein guter Schüler, Cornut. Aber die Telepathie ist nur ein unwesentlicher Vorzug. Wissen Sie, durch was wir uns wirklich unterscheiden?«
Er duckte sich vor Jillson, während er den Kopf schüttelte.
Der Leibwächter warf der Frau einen Blick zu, zuckte die Achseln und sagte: »Na schön, ich werde ihn nicht schlagen. Reden Sie weiter.«
»Was uns unterscheidet, ist unser Alter, mein lieber Junge.« Sie kicherte schrill: »Ich bin zum Beispiel zweihundertdreiundachtzig Jahre alt.«
Nach einer Weile gaben sie ihm etwas zu essen und ließen ihn in Ruhe.
Obwohl ihm jede Zelle weh tat, war er kaum gezeichnet; es gab einen Grund für die Polsterung des Schlägers. Und das hatte auch eine Bedeutung, dachte Cornut schmerzhaft. Wenn sie nicht vorhatten, ihn zu zeichnen, dann wußten sie, daß er wieder von anderen gesehen würde. Das hieß, daß sie ihn wenigstens nicht auf der Stelle töten und seine Leiche ins Meer werfen würden.
Zweihundertdreiundachtzig Jahre alt.
Und dabei war sie noch nicht einmal die älteste der vier; nur Jillson war jünger, ein etwa hundertjähriger Knabe. Der Senator wurde geboren, als Amerika noch eine britische Kolonie war. St. Cyr wurde im Frankreich de Gaulies geboren.
Wenn er Einsicht in das Geheimarchiv erhalten hätte, so hätte er den Schlüssel zu allem gehabt; die Anomalie bei der Anwendung des Wolgrenschen Gesetzes war keineswegs Wolgrens Fehler. Die Daten hätten gezeigt, daß manche Leute unfähig waren zu sterben. Tausende von Jahren war das statistisch unbedeutend gewesen, aber der Prozentsatz war in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten gestiegen und gestiegen – seit Lister, seit Pasteur, seit Fleming. Sie waren unsterblich – nicht weil sie keine Krankheit bekommen oder keiner Wunde erliegen konnten, sondern einfach weil sie nicht auf eine andere Art starben.
Und durch die Fortschritte der präventiven Medizin hatten sie allmählich ihre Macht gefestigt. Sie besaßen eigentlich nicht viel. Sie waren weder klüger als die übrige Menschheit noch stärker. Sogar ihre Telepathie war offenbar nur insofern einmalig, als die kurzlebigen Menschen keine Zeit hatten, sie zu entwickeln; sie hing von komplizierten, sich nur langsam bildenden Nervenverbindungen ab; sie war ein Zeichen der Reife, wie die Pubertät oder der Bartwuchs. Alles, was sie mächtig machte, war nur ein Geschenk der Zeit. Sie hatten Geld. (Aber wer konnte, bei ein oder zwei Jahrhunderten Zinseszinsen, nicht so reich sein, wie er wollte?) Sie bildeten eine geschlossene Interessengemeinschaft – was nur vernünftig war. Sie hatten viele Kriege gefördert, denn gab es einen größeren Segen für die Medizin als einen Krieg? Sie hatten zahllose Stiftungen finanziert, denn die Chirurgie der Kurzlebigen trug dazu bei, auch ihr eigenes unendlich viel wertvolleres Leben zu erhalten. Und sie empfanden nur Verachtung für die Kurzlebigen, die sie ernährten, ihnen dienten und ihnen das Leben ermöglichten.
Sie mußten eine geschlossene Gemeinschaft sein. Sogar ein Unsterblicher hat Freunde nötig, und
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