Tod den Unsterblichen
die gewöhnlichen Menschen konnten ihnen kaum mehr als Wochenendgäste sein.
Verachtung … und Angst. Es gab, sagten sie ihm, die Cornuts, die einen rudimentären telepathischen Sinn hatten und nicht am Leben bleiben durften, um ihn zu entwickeln. Man suggeriere Selbstmord, und der Kurzlebige stirbt; so leicht war das. Der schlafende Verstand kann aus einer sich schließenden Tür, einem fernen Lastwagenauspuff einen Traum aufbauen. Der halberwachte Verstand kann diesen Traum in die Tat umsetzen …
Er hörte ein schrilles Lachen, und die Tür öffnete sich. Jillson kam als erster strahlend herein. »Nein!« schrie Cornut instinktiv und hob die Arme schützend vor dem Schläger.
14
Locille saß neben ihrer Mutter in der Cafeteria des Krankenhauses, dankbar dafür, daß sie endlich einen Sitzplatz gefunden hatten. In dem Krankenhaus auf dem Texas herrschte Hochbetrieb, besorgte Besucher nahmen jeden Zentimeter im Warteraum, in dem Vestibül vor dem Empfang, ja sogar auf der Sonnenterrasse in Anspruch, die über den wütenden Wogen hing und tagsüber der Bequemlichkeit der Patienten diente. Es war schon sehr spät, und die Cafeteria sollte eigentlich geschlossen sein; aber das Krankenhaus hatte sie wieder öffnen lassen, damit die Wartenden wenigstens Kaffee bekommen konnten. Ihre Mutter sagte etwas, aber Locille nickte nur. Sie hatte es nicht gehört. Es war nicht leicht, bei dem dröhnenden Sirren der gespannten Kabel etwas zu hören. Und außerdem hatte sie meistens an Cornut gedacht.
Der Nachtproktor hatte am Telefon nichts Neues zu berichten gewußt; Cornut war noch nicht zurückgekehrt.
»Er hat so gut gegessen«, sagte ihre Mutter plötzlich. Locille tätschelte ihre Hand. Der Kaffee war kalt, aber sie trank ihn trotzdem. Der Arzt wußte, wo sie zu finden waren, dachte sie, obwohl er natürlich schrecklich viel zu tun hatte …
»Er war das beste meiner Babys«, sagte ihre Mutter.
Locille wußte, daß das Ende ihres Bruders kurz bevorstand. Der Ausschlag, der die Ärzte stutzig machte, das Fieber, das seine Augen glasig machte, waren nur äußere Anzeichen für den fürchterlichen Kampf in seinem unbeweglichen Körper; sie waren Schlagzeilen einer Zeitung, tausend Meilen entfernt, die lauteten: 800 Marinesoldaten bei der Erstürmung von Iwo gefallen; sie stellten die Tatsache von Blut und Schmerz und Tod dar, aber sie waren nicht die Tatsache selbst. Roger lag im Sterben. Die äußeren Anzeichen waren unter Kontrolle gebracht worden, aber die Salbe konnte nur die Pusteln eintrocknen, die Pillen ihm nur das Atmen erleichtern, die Spritzen nur seine Kopfschmerzen lindern.
»Er aß so gut«, sagte ihre Mutter, laut träumend, »und er sprach schon mit achtzehn Monaten. Er hatte einen kleinen Elefanten mit einer Spieluhr, und er konnte sie selbst aufziehen.«
»Mach dir keine Sorgen«, flüsterte Locille verlogen.
»Aber wir haben ihm erlaubt, schwimmen zu gehen«, seufzte ihre Mutter und sah sich im überfüllten Raum um. Aber nicht sie, sondern Locille erblickte als erste die Krankenschwester, die durch die Menge auf sie zukam, doch sie mußte ebenso schnell wie Locille im Gesicht der Krankenschwester gelesen haben, welche Nachricht sie ihnen brachte.
»Er war heute schon der zehnte in meiner Station«, flüsterte die Krankenschwester und hielt vergeblich Ausschau nach einem ungestörten Winkel, um es ihnen zu sagen. »Er hat das Bewußtsein nicht wiedererlangt.«
Cornut trat blinzelnd aus dem Wohnsitz des Präsidenten. Es war Morgen. »Schönes Wetter«, sagte er höflich zu Jillson an seiner Seite. Jillson nickte. Er war mit Cornut zufrieden. Das Kind würde ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen.
Unterwegs »schrie« Jillson in Cornuts Verstand. Es war schwierig bei diesen unfertigen Telepathen, seufzte er; aber es gehörte zu seiner Aufgabe. Er war der Henker. Er nahm Cornut beim Ellenbogen – körperlicher Kontakt half etwas, aber nicht viel – und erinnerte ihn an das, was er zu tun hatte. Sie müssen sterben. Sie werden sich umbringen.
»O ja«, sagte Cornut laut. Er war erstaunt. Er hatte es versprochen, nicht wahr? Er empfand keinen Groll mehr wegen der Prügel. Er verstand, daß sie einen Zweck hatten; je benommener, je erschöpfter er war, desto sicherer war ihre Kontrolle über ihn. Er hatte überhaupt nichts dagegen, unter der Kontrolle vier uralter Unsterblicher zu stehen, denn – das tat er.
Sie sterben, Cornut, aber was macht das schon aus? Ob heute, ob morgen oder
Weitere Kostenlose Bücher