Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
die neue Mail las.
Ein Verkäufer von Dietl glaubte, den Alten erkannt zu haben.
Ein langjähriger Kunde, der ihm aus den Augen gekommen war. Fritz Altgraf. Zuletzt in der Widenmayerstraße gemeldet. Nicht gerade die Armeleutegegend von München.
Keiner, der ihn bislang vermisst hatte.
Schrecklich, alt zu werden, und keiner blieb mehr übrig, der einen vermissen konnte. Altgraf war zweiundachtzig Jahre alt gewesen. Was tat der Mann in dem Alter auf der Straße?
Pit Gernhardt überlegte einen Moment lang, ob er die neue Information an die Zeitungen weitergeben sollte. Doch er entschied sich dagegen. Erst einmal abwarten, ob hier in Hamburg noch einer was dazu zu sagen hatte.
Das Telefon nahm er diesmal gleich beim ersten Klingeln ab. War da die Hoffnung, es könne Vera sein oder Anni, die in zu großen Töpfen gekocht hatte?
„Ich hab hier jemanden, der unseren toten Alten von der Binnenalster erkannt zu haben glaubt“, sagte Jan Kummer.
„Ich dachte, du seiest wegen einer abgängigen Kellnerin unterwegs.“
„Das hat sich erledigt. Die ist wieder da.“
„Du hattest vorausblickend das Bild vom Alten dabei?“
„Die dreißig Cent Kilometergeld sollen sich ja lohnen.“
„Fährst du keinen Dienstwagen?“, fragte Pit.
„Der sprang nicht an. Ich bin in Cindys Mini unterwegs.“
Cindy hieß die Dame also, die schon am frühen Morgen in der Laune zu langen leidenschaftlichen Küssen war.
„Er scheint sich jedenfalls schon länger in der Lübecker Obdachlosenszene aufzuhalten.“
„In einem Anzug von Dietl?“
„Kann doch sein, dass so ein Anzug aus München mal in einem Lübecker Altkleidersack steckt.“
„Kennt dein Informant einen Namen?“
„Leider nicht“, sagte Jan Kummer.
„Ich habe einen von den Münchnern gemailt bekommen. Sie wissen auch, wo er zuletzt gemeldet war.“
„Können ja trotzdem identisch sein“, sagte Kummer und beendete das Gespräch. Er schien eingeschnappt.
Als Pit auflegte, fiel ihm auf, dass sein Kollege kein einziges Mal „klar“ gesagt hatte. Die AirmenBeans mussten ihm ausgegangen sein.
Eine halbe Stunde später schaltete Pit Gernhardt den Computer aus. Weder die hauseigene Personenkartei noch die von Schleswig-Holstein und Bayern hatten was über Fritz Altgraf. Auch bei Google wurde er nicht fündig. Konnte er nur hoffen, Nick anzutreffen, um ein Glas mit ihm zu trinken.
Nick hatte die Karte vom Doc Cheng’s lange studiert, um sich dann für die Variation von der Ente zu entscheiden. Er teilte die Liebe der Asiaten zu gegarten Enten.
Dieses Restaurant trug zwar einen chinesischen Namen, doch seine Küche vereinte alle kulinarischen Lüste Asiens.
Dort war Nick zwar noch nicht gewesen, doch er kannte sich dennoch aus. Beim Essen und beim Trinken war er bereit, Luxus in sein Leben zu lassen. Ansonsten neigte er zur Kargheit, die ihm nicht nur sein kleines Einkommen diktierte, sondern vor allem seine Weltanschauung. Als könnten alle Geknechteten dieser Welt vom Leid befreit sein, wenn er nur bescheiden blieb.
„Du willst doch nicht nur eine Vorspeise essen“, sagte Vera.
Doch. Das wollte er. Was sollte sonst die Gastgeberin von ihm denken, die ihn ohnehin verwirrte. Vera besaß wahrlich eine natürliche Veranlagung zur Extravaganz. Doch diese alte Dame hatte eine Aura von glanzvoller Zeit um sich, wie sie längst vergangen war und so nicht mehr vorhanden.
„Nehmen Sie eines von den Currys, Nick“, sagte Jana Tempel, „ich habe Currys immer geliebt.“
„Das Rote Thai Curry von Meeresfrüchten“, sagte Vera.
Nick hatte das dunkle Gefühl, die Sirenen des Odysseus seien nichts gewesen gegen Jana und Vera.
„Vielleicht sollten wir einen Tanqueray und Tonic dazu trinken“, sagte Jana Tempel.
„O ja“, sagte Vera und erinnerte sich an die unzähligen Gin Tonics, die sie mit Leo getrunken hatte.
Nick fing an, willenlos zu werden, und nickte. Wenn er nur noch einen klaren Kopf behielt für den wesentlichen Teil des Gespräches. Schließlich ging es hier um viel.
Um Köpfe zum Beispiel.
„Es war mein vierundzwanzigster Geburtstag, als ich deinem Vater hier begegnete, Kind. Zur Wiedereröffnung des Hotels, nachdem die Engländer es freigegeben hatten. Das war am dritten April 1952.“
Vera überschlug schnell diese Zahlen. Ihr Vater war damals fünfundfünfzig Jahre alt gewesen. Wie war er der jungen Jana vorgekommen? Gustav, ein Sugardaddy?
„Dein Vater war ein Sieger. Ich habe immer die Siegertypen geliebt“, sagte Jana
Weitere Kostenlose Bücher