Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
Tempel.
Vera warf einen kurzen Blick zu Nick, den sie bereute, denn Nick hatte ihn aufgefangen. Er war kein Sieger.
Die Tanqueray Tonics wurden in hohen kühlen Gläsern serviert, und Jana Tempel trank, als sei sie durstig und dies ein schlichtes Perrier. Gleich würde sie nachbestellen.
„Rot und schwarz. Die chinesischen Farben“, sagte sie und blickte auf die lackierten Wände. „Früher war das hier der Jahreszeitenkeller. In den Zeiten des Krieges diente er den Gästen als Luftschutzkeller, doch damals hielt ich mich noch nicht in der Nähe des Vier Jahreszeiten auf.“
„Sie sind keine Hamburgerin“, sagte Nick. Eine Feststellung. Keine Frage.
Ich bin eine ganz andere und komme ganz woanders her, wollte sie sagen, doch der Satz schien ihr zu trunken, als sie ihn bedachte. Dafür reichte ein Gin Tonic nicht.
„Wann wird man zur Hamburgerin?“, fragte sie stattdessen. „Ich war seit 1942 in der Stadt.“
„In den Zeiten des Krieges“, sagte Vera.
„Damals wurde man hin und her geweht wie Sand am Meer.“
Wo war Gustav da gewesen? In der berühmten inneren Emigration. Konnte die gelingen?
Vera tunkte ihr Brot in den Gurken-Dip. „Wer sind die Leute, die ich aufsuchen soll?“, fragte sie.
„Sie haben mich gekannt, als ich sehr jung war“, sagte Jana Tempel, „und sie glauben, dass ich ihnen etwas schuldig bin.“
„Sind Sie das?“, fragte Nick.
Jana Tempel drehte sich um und gab dem Ober ein Zeichen.
„Nein“, sagte sie. Ein harter Ton. Zum ersten Mal. Die feinen Plisseefalten um ihren Mund glätteten sich, so streng zog sich ihr Gesicht. Der Abend wäre beschwerlich geworden, hätte der Ober nicht drei neue hohe Gläser auf den Tisch gestellt. Tanqueray Tonic.
Nick und Vera hatten die ersten noch gar nicht ausgetrunken. Ganz ungewöhnlich für sie beide. Vera leerte ihres und setzte zur nächsten Frage an. „Dann sind sie alle in Ihrem Alter?“
Wie konnte es anders sein. Jana Tempel hatte damals wohl kaum einen Kindergarten gegen sich aufgebracht.
„Ich war immer die Jüngste. Überall“, sagte Jana Tempel.
Jetzt nicht mehr, dachte Nick, der anfing, sich zu ärgern.
Ihm war das alles zu kryptisch. Sollte sie doch endlich die Karten auf den Tisch legen.
Die Vorspeisen lenkten sie ab. Vera, die den Grimm in Nicks Gesicht gesehen hatte, verzichtete vorläufig darauf, ihm eine kleine Warnung zu geben und gegen sein Schienbein zu treten. Das letzte Mal hatte sie sich dabei in einer viel zu langen Tischdecke verheddert.
„Es kann kaum sein, dass sie noch alle leben“, sagte Jana Tempel zwischen zwei Happen Tatar vom Thunfisch.
Vera dachte an die acht Namen auf der Liste. Wenn davon einige tot waren, welche Bedrohung ging denn von den verbliebenen alten Männern und Frauen aus?
„Wann haben Sie diese Leute zuletzt gesehen?“, fragte Nick.
Jana Tempel zögerte mit der Antwort. „Viele Jahre nicht“, sagte sie schließlich. „Anfang der sechziger Jahre habe ich noch einmal einen Erpresserbrief bekommen. Damals hat das Ihr Vater für mich erledigt, Kind.“
Vera verschluckte sich. Wer war Gustav eigentlich gewesen? Ein Komponist leichter Lieder oder der Pate?
„Womit konnte man Sie erpressen?“, fragte Nick.
„Ich sehe ein, dass Ihre Hartnäckigkeit gut für unsere Sache ist“, sagte Jana Tempel, doch ihre tiefe Stimme hatte einen scharfen Klang. „Die Herrschaften wollten offenlegen, dass meine Herkunft eine andere war, als die, die meine Agenten für mich erfunden hatten. Die Zeiten waren anders. Nichts von der Offenherzigkeit, die heute alle vor sich hertragen. Denken Sie an den armen Rock Hudson, der daran zerbrach, nicht bekennen zu können, dass er Männer liebte.“
Lesbisch zu sein war kaum Jana Tempels Problem gewesen. Dessen waren sich Vera und Nick sicher.
„Finden Sie heraus, wer noch lebt. Suchen Sie diese Leute auf und veranlassen Sie, dass sie zu mir ins Hotel kommen.“
„Haben wir da ein Druckmittel?“, fragte Nick.
„Sie werden kommen“, sagte die alte Dame und wandte sich dem Ober zu, der die Currys herantrug. Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Der Service war hier immer schon exzellent“, sagte sie. „Wie waren wir glücklich, als dieses Hotel wiedereröffnet wurde. Über den roten Teppich liefen an dem Tag alle, die in Hamburg Rang und Namen hatten. Für mich war es der erste rote Teppich. Ich hatte gerade meinen Debutfilm abgedreht, und dann kam Ihr Vater in mein Leben.“
Vera guckte auf ihr Gelbes Khmer Curry und war verlegen.
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