Tod einer Göttin (Vera-Lichte-Krimi) (German Edition)
den Sinn. Die hatten Nick und sie auch mit einer Lupe betrachtet, um am Hals einer jeden eine Folge von Buchstaben zu entdecken.
Nick beugte sich mit der Lupe über das Bild. „Vielleicht irre ich mich“, sagte er. „Kann sein, dass es nur eine Mäander ist.“
„Was siehst du da eigentlich“, sagte Vera, die nichts sah.
Nick gab ihr die Lupe. „Über der Haustür“, sagte er, „ich dachte, es sei eine Inschrift.“
„Warum habe ich nur immer so ein Gefühl, wenn ihr beide euch über was beugt“, sagte Anni.
„Weil du uns von Herzen magst“, sagte Nick.
„Ein bedrohliches“, sagte Vera, „Anni spricht von einem bedrohlichen Gefühl. Stimmt’s?“
„Ich bringe mal den Kleinen in die Heia.“
„Was hat sie denn?“, fragte Nick, als Anni das Zimmer verlassen hatte. „Das hier ist doch wirklich harmlos.“
„Das ist sie von uns nicht gewohnt. Harmlosigkeit.“
„Weißt du noch, wie sie mir vorgeworfen hat, dass ich schon die nächste Leiche sehe, sobald ich nur durch meinen Fotoapparat gucke?“
„War doch auch so“, sagte Vera.
„Im Augenblick arbeite ich an kulinarischen Stillleben. Stelle Konfitüren neben Butterhörnchen auf karierte Decken und zaubere das Licht eines schönen Frühlingsmorgens.“
„Hast du dafür überhaupt die Ausrüstung?“
„Geht so“, sagte Nick.
„Was macht eigentlich Pit? Ich habe ihn ewig nicht gesehen.“
„Ich vor knapp einer Stunde. Wie kommst du auf ihn?“
„Waren karierte Decken nicht mal euer beider Traum von Familienleben und Geborgenheit?“
„Er ist verknallt in dich.“
Vera gab ihm einen langen Blick. „Das weißt du?“, fragte sie.
„Du etwa nicht?“
„Doch“, sagte Vera, „denkst du nicht auch, dass diese beiden Fotos völlig aus der Reihe fallen?“ Sie deutete auf das Porträt des Mädchens und auf das Abbruchhaus.
„Dafür haben wir sie hier auf einer Filmpremiere“, sagte Nick.
Beide guckten sie auf den großen Schwarzweißabzug.
Gustav und eine junge dunkelhaarige Jana Tempel schritten über einen Läufer, der ohne Zweifel rot gewesen war. Der Läufer lag mitten auf dem Jungfernstieg. Eine jubelnde Schar stand links und rechts des Läufers, als die beiden vor vielen Jahren zu einer Premiere ins Streit’s gegangen waren.
Dass das alte Kino noch existierte in dieser hastigen Welt.
Jana Tempel überquerte die Straße und trat vor das Streit’s.
Eine weiche Stimmung, in der sie sich befand an diesem Vormittag, ihrem ersten in Hamburg seit vielen Jahren.
Das Absperrband vor dem Hotel war entfernt worden. So schnell. Doch es beruhigte sie.
Sie zog den großen Hut ein wenig tiefer.
Wäre sie erkannt worden, hätte sie keinen Hut getragen und keine Sonnenbrille? Vielleicht war ihr auch nur die Illusion, wichtig, dass all die Accessoires von Nöten waren.
Gab es Schlimmeres, als in die Bedeutungslosigkeit zu versinken, wenn man ein glänzender Stern gewesen war?
Jana Tempel wusste, dass es viel Schlimmeres gab.
Sie sah in die Schaukästen des Kinos. Julia Roberts. Dies magere Hühnchen. Aber das Gesicht. Der Mund.
Die alte Frau, die den Star der Jetztzeit betrachtete, war ein Mensch, der gönnen konnte. Der Qualität erkannte.
Das Kind. Gustavs Kind. Musste es nicht schon vierzig sein?
Wenn sie aussah wie er, war sie zwar eine Persönlichkeit, aber kaum eine schöne Frau.
Jana Tempel hatte einen Tisch in der Wohnhalle des Vier Jahreszeiten bestellt. Für den Hightea. Der Klavierspieler würde sie erkennen und einige Lieder aus ihren Filmen spielen. Oder?
Sie hatte so lange zurückgezogen gelebt, dass sie keine Ahnung hatte, wie weit ihr Ruhm noch reichte.
Hatte sie nicht Angst davor gehabt, als sie jung war, eine abgetakelte Diva zu werden? Darum hatte sie sich so früh vom Film verabschiedet.
Der Blick eines alten Herrn streifte sie. Sie wandte sich ab, doch er war schon weitergegangen. Die Hamburger waren stets diskret gewesen. Keiner, der einen auf offener Straße eines Autogramms wegen störte.
Von dem Portier hatte sie zu erfahren versucht, was der Page ihr an Auskunft verweigerte. Ein Toter hatte am Ufer der Alster gelegen. Ein armer Mensch. Obdachlos.
Warum fiel ihr der Brief eines alten Weggefährten ein?
Wenn du mir nicht hilfst, werde ich auf der Straße landen, hatte er geschrieben. Jana Tempel hasste es, unter Druck gesetzt zu werden.
Schümanns Austernkeller schien es nicht mehr zu geben.
Hier in diesem Haus am Jungfernstieg war es doch gewesen.
Sie stand unschlüssig vor der
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