Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
Professoren und Manager mit Spesenkonten gern dort
speisten.
Das Lokal lief so gut, dass es sich hinter einem vollkommen unauffälligen Schild versteckte und Fletcher es fast übersehen
hätte. Er musste im Dorf wenden und parkte dann im Hof.
Ein katzenhaftes, schwarz gekleidetes Mädchen öffnete die Eichentür und führte ihn durch die menschenleere Gaststube zu Stephens
Büro. Als sie eintraten, streifte sie ihn und er fing einen Blick ihrer grauen Augen auf.
»Ich dachte, es ginge um die alten Zeiten, Fletcher.«
Stephens Stimme hatte sich nicht verändert, doch als Fletcher eintrat, sah er, dass sein alter Mentor zugenommen hatte.
Er trug eine weiße Kochjacke und Krawatte. In dem geraden, unverwandten Blick war der alte Stephen noch immer zu erkennen,
doch der Erfolg hatte ihm ein Bäuchlein beschert, das nun gegen den Schreibtisch drückte, auf dem er Kostproben verschiedener
Gerichte stehen hatte.
Fletcher setzte sich. »Dir geht es richtig gut, wie es aussieht.«
»Kalbsleber«, antwortete Stephen und schluckte. »Was zu trinken?«
»Nur etwas Wasser, bitte.«
»Das ist schon mal nichts Neues.« Er warf Fletcher eine kleine Mineralwasserflasche zu. »Vermutlich schaust du nicht einfach
nur so mal vorbei?«
»Was hast du gehört?«
»Ich hab gehört, dass Fletcher noch mal in den Kalten Krieg zieht, und zwar ganz allein. Stimmt das?«
Fletcher trank einen Schluck Wasser und betrachtete die Teller auf dem Schreibtisch. »Ich weiß nicht, ob der Kalte Krieg überhaupt
vorbei ist, Stephen. Da hat man vielleicht zu früh gefeiert. Was ist denn das da?«
»Mozzarella aus Büffelmilch«, antwortete Stephen. »Fünfzig Jahre lang hab ich von Spiegeleiern und Fritten gelebt. Und jetzt
das hier.« Er kostete, schob das Gericht zurück und sah Fletcher aufmerksam an. Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen.
»Genug probiert. Du hast Probleme, oder?«
»Ja, Stephen. Erinnerst du dich an den Stausee?«
»Darum geht es? Himmel hilf.«
Fletcher wusste, woran Stephen jetzt dachte. Es war Fletchers erstes Jahr in Zivil. Stephen Jenks hatte ihn mitgenommen, um
einen illegalen Hundekampf am Ufer des Stausees zu Beweiszwecken zu filmen, nur ein kleines Stück östlich des Dorfes, in dem
sie sich jetzt befanden. Beide hatten mit gezückten Camcordern flach auf dem vereisten Gras der Uferböschung gelegen. Stephen,
der einen besseren Blickwinkel gesucht hatte, hatte das Eis am Seeufer getestet und war plötzlich untergegangen, ein kurzes
Jaulen ausstoßend wie ein Hund, der einen Kampf verliert. Fletcher war ihm nachgesprungen und musste zweimal tauchen, bevor
er Stephen fand und ihn an der Hand packen und ans Ufer zerren konnte. Alle Anzeichen des Hundekampfs waren verschwunden wie
ein Funkenregen.
Und dann war das geschehen, was keiner gesehen hatte. Webley war im Auto von der Parkside-Wache gekommen und hatte Angst,
dass zwei ihrer Leute an Unterkühlung sterben würden. Sie hatte Tom Fletcher allein auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens gefunden,
während die Sanitäter sich nur umJenks im Krankenwagen kümmerten. Webley hatte die Arme um Fletcher gelegt und ihn fest an sich gedrückt.
Ich bin so stolz auf Sie.
Sie hatte den Zitternden in den Armen gehalten und erst Minuten später wieder losgelassen. Er erinnerte sich daran, wie ihre
Umarmung sich angefühlt hatte. Wie ihre warmen Finger sein vereistes Haar aufgetaut hatten.
Er blinzelte. Jenks’ Augen waren eisig grau.
»Was willst du, Fletcher?«
»Wann bist du zur Polizei von Cambridge gekommen?«
»1976.« Plötzlich grinste Stephen. »Also, das waren noch Zeiten. Aber ich schätze, du bist nicht gekommen, um meine alten
Geschichten zu hören?«
»Heute nicht. Hast du jemals von Ron Teversham gehört? Ein Police Constable aus Wittris?«
»Gehört hab ich von Teversham, getroffen hab ich ihn nie. So wie dem hätte es mir auch ergehen können, meine Güte.«
Fletcher zog die beiden Fotos der Unfallorte heraus, die dem Bericht des Coroners beigelegen hatten. Jenks nahm die Bilder
zur Hand, betrachtete sie aufmerksam und las die Namen der Verunglückten und das Datum. Dann schob er die Fotos beiseite.
Er wischte sich die Finger ab.
»Du wühlst die Vergangenheit auf, Junge? Warum?«
»Weißt du, wer die Opfer waren?«
»Opfer?« Jenks warf seine Serviette zur Seite. »Soviel ich weiß, sind sie an ihrem Tod selbst schuld. Die ruhmreiche
Lovely Brigade
, nicht wahr? Keiner hat ihnen eine Träne
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