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Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Titel: Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lennon
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nach dem Sturz irgendetwas bei Paddy gefunden?«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Wie zum Beispiel eine kleine Puppe aus Stroh.«
    Dad Legsey hörte auf zu rühren. »Nur seine Kleider, seine Ohrringe und ’n Ring, den ich ihm mal geschenkt hab. Aber später
     war da was.«
    »Was denn?«
    Dad Legsey sah sich plötzlich um und richtete die glänzenden Augen auf Fletcher und gleich darauf auf Sal. »Ich war der Einzige.
     Der Einzige von uns dreien.«
    »Der Einzige, der . . .?«
    »Geblieben ist. Die Swilters und die Gaffys, die sind rauf in den Norden. Sind kurz nach dem Tod von den Jungs weggezogen.
     Die einen sagen, sie hatten Angst vor was, die andern sagen, sie haben Geld gekriegt, man hat ihnen geholfen. Ich sag nur,
     was ich weiß. Kurz nach dem Sturz von Paddy, grad an Neujahr, da kommt ’n Mann hier an die Tür. Sagt, er ist von ’nem Verein
     für Epileptiker. Er könnte meine Bürde erleichtern, so sagt er. Wollte mir Paddy wegnehmen und ihn in ’n Heim stecken. Wo
     man für ihn sorgen wird, so sagt er.
Für ihn sorgen.
Für meinen Paddy.«
    Fletcher konnte sich vorstellen, wie man für Paddy gesorgt hätte – für diesen Zeugen, der überlebt hatte und von dem man nicht
     wusste, ob er nicht irgendwann Erinnerung und Sprache wiederfinden würde.
    »Was haben Sie ihm geantwortet?«
    »Nix. Ich hatte Tee hier auf’m Herd, ’nen großen Topf für die ganze Straße, kochend heiß. Den hat er abgekriegt.«
    »Sie haben ihn verbrüht?«
    Dad Legsey lachte. »Es war der Streikwinter. Der Krankenwagen kam erst nach zwei Stunden. Der Kerl hat sich im Garten rumgewälzt
     und das Gesicht in den Schnee gesteckt. Aber paar Tage später, da kam was mit der Post. Da drin war so was, was Sie gesagt
     haben: ’n Püppchen aus Stroh. Wie so’n Quatsch aus ’m Heimatmuseum. Hat mich beim Auspacken gekratzt. Ich hab’s im Garten
     verbrannt.«
    Fletcher starrte in das dampfende Gebräu. Allmählich sah er es vor sich, jenes Puzzlestück, das ihm noch gefehlt hatte. Es
     war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Weit schlimmer.
    »Und wann war das? In der ersten Januarwoche?«
    »Genau. Januar 79.«
    Fletcher fing Sals Blick auf. Er fragte: »Wie alt waren Sie damals, Dad Legsey?«
    »Ich? Vierzig war ich damals. Jünger als Paddy jetzt.«
    Fletcher nickte und betrachtete den Alten von Kopf bis Fuß. »Vielen Dank, Dad Legsey. Sie haben meine letzte Frage beantwortet.
     Und das war zugleich die wichtigste Frage.«
     
    Sie fuhren aus Wittris heraus und die Felder sausten an ihnen vorbei. Die Lovely Street mit ihren Maschendrahtzäunen lag bald
     weit hinter ihnen.
    Sal fuhr. Fletcher schwieg und schaute nach vorn auf den Horizont. Er sah die Lichter einiger entgegenkommender Wagen und
     das Flutlicht eines Mähdreschers, der, eine im Mondlicht schimmernde Spelzenwolke hinter sich herziehend, bei Nacht arbeitete.
     Ein Fuchs rannte über die Straße, ein Kaninchen im Fang. Nach einer Weile tauchte am Horizont die Kathedrale von Ely auf.
     Fletcher wandte sich Sal zu.
    »Jetzt verstehe ich die ganze Sache. Was die Puppe bedeutet. Und die Verbindung zwischen der
Lovely Brigade
und dem Russen.«
    »Ich glaube, ich auch.«
    »Hungrig?«
    Sie warf ihm einen Blick zu und nickte.
    »Ich koche für dich«, sagte er.
    Sie dachte eine Weile darüber nach und nickte wieder.
    »Aber keinen Aal, Fletcher.«
    Eine langbeinige Mücke klatschte gegen die Windschutzscheibe. Die Uhr zeigte 22.28   Uhr.
     
    Tom Fletcher trat auf die Feuertreppe. Es war dunkel und kalt, und hinter den Dächern stachen Fernsehantennen und die Wipfel
     der Gartenfichten Löcher in den Mond. Die Stahlstufen der Feuertreppe waren vereist und glatt.
    »Da könnte man leicht runterfallen.«
    Er drehte sich erschrocken um. Sie hatte sich an die Wand gelehnt und schaute ihn an. Im Licht, das aus dem Fenster eines
     anderen Hauses fiel, sah er, wie bleich sie war. Das kupferrote Haar war auf der einen Seite des Gesichts zusammengebunden,
     die andere Seite lag im Dunkeln. Sie trug wieder den alten Regenmantel und einen Schal.
    »Wo geht Edmund hin, wenn er nachts durchs Haus läuft?« , fragte er.
    Bei jedem Wort wehte ein Atemwölkchen aus seinem Mund. Sie sah ihn an.
    »Warum gehst du nicht weg?« , fragte er.
    Sie schloss einen Moment lang die Augen. »Es ist zu spät.«
     
    Die geöffneten Fenster von Fletchers Wohnung gingen auf das Zentrum Cambridges hinaus, wo die Zinnen der Colleges im Licht
     der Straßenlaternen und des Mondes bernsteingelb

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