Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
das Knarren der Treppe und dann ein weiteres Knarren vor der Tür. Es knarrte
ungewöhnlich laut und lange. Er hielt die Augen auf die Wand geheftet.
Das musste er so machen, weil er nämlich in der Tapete lebte. Das war die Tapete, die er seit seinem achten Geburtstag im
Zimmer hatte und die seit damals immer dieselbe geblieben war. Sie hatte ein Muster. Sieben verschiedene Bootstypen. Er verbrachte
Stunden und manchmal ganze Tage damit, die Boote zu betrachten und im Geiste mit ihnen davonzusegeln.
So war es immer gewesen. Da waren nur er, die Boote und das Fenster mit dem Blick auf die Felder. Manchmal Kopfschmerzen,
die machten, dass er zitterte, und hin und wieder wurde alles schwarz, und er erwachte mit Blut auf den Lippen und einem Plastiklöffel
im Mund, von dem Dad sagte, der sei nötig, damit er seine Zunge nicht verschluckte.
Wenn er an solchen Tagen zitternd auf dem Boden lag, brachte Dad ihm immer einen Krug Tee. Der war sauer, beruhigte ihn aber,
und in den Nächten danach machte er immer die weitesten Fahrten mit seinen Booten.
Doch Paddys Welt wandelte sich. Die Tapete verblasste allmählich, und in Brusthöhe waren die Boote schon vollständig abgerieben.
An anderen Stellen hatten seine Finger Spuren hinterlassen, die wie Gewitterwolken aussahen.
Die Tür öffnete sich und drei Leute traten ein – das hörte er am Geräusch der Füße. So viele Besucher hatte er noch nie gehabt,
aber er hielt die Augen trotzdem auf die Boote geheftet.
Und dann veränderte sich sein Leben.
Er spürte, dass jemand seine Wange berührte – nicht die rauen Finger seines Vaters, wenn er ihn wusch, sondern andere, unbekannte
Finger, und sie dufteten so gut, dass er den Kopf drehte und hinsah.
Sie war wunderschön und sah ihn mit braunen Augen und leicht gerunzelter Stirn an. Vielleicht machte sie sich auch Sorgen
wegen der Boote. Er dachte eine Weile nach, welches Boot ihr wohl am besten gefallen würde, und entschied sich dann für die
Yacht mit den Bullaugen. Die gefiel ihr tatsächlich.
»Du warst in Blindy House, Paddy«, hörte er sie sagen. »Es war eine kalte Nacht vor sehr langer Zeit. Was ist damals passiert?«
Paddy schauderte. Er dachte nicht gern an das andere Zimmer in seinem Leben. Die drei Männer, die ihn gepackt und zum Fenster
zurückgeschleppt hatten. Sein Schrei, der durch die kalte Nacht hallte.
»Paddy? Kannst du uns das sagen?«
Paddy blickte in ihr Gesicht und spürte die ersten Krämpfe. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er hatte keine Stimme.
Wieder durchlief es ihn wie ein Stoß, und er presste die Augen zusammen. Er spürte, dass ihm Speichel übers Kinn lief. Er
drehte sich zur Yacht um und lächelte trotz der Zuckungen, weil er nicht mehr allein war.
Sie kletterten zusammen über die Leiter an Bord und standen auf dem Deck, wo das rote Segel im Wind flatterte. Sie zeigte
auf Delphine und fliegende Fische. Er setzte die Segel und fing ihren Blick ein, als das Tuch sich im Wind straffte. Er wusste,
dass ein Anfall bevorstand, aber danach würde der Himmel sich lichten – und von da an würde sie ihn immer auf den Booten begleiten,
und er würde mit ihr überall hinsegeln. Überall, wohin sie nur wollte.
»Die Bullen hören einem nie zu. Ich hab doch gesagt, dass er nich redet. Jetzt hat er einen Anfall bekommen, für nix und wieder
nix.«
Sie waren wieder unten. Fletcher war noch immer damit beschäftigt, alles, was er wusste, auf einen Nenner zu bringen. War
er gerade ein Stück weitergekommen? Er hatte nicht das Gefühl.
»Tut mir leid«, sagte Sal. »Wir hatten wirklich geglaubt, dass er uns etwas Wichtiges erzählen könnte. Ist er in Behandlung?«
Dad Legsey rührte in einem Topf mit seinem ganz legal aus Mohn gebrauten Tee. »Ärzte helfen nich. Nur das hier hilft. Das
hat hier schon immer geholfen.«
Das Zeug roch wie frisch umgegrabene Erde. Fletcher sah eine bläuliche Flüssigkeit voller winziger Samenkörner, ohne sie wirklich
wahrzunehmen.
Ihm blieben noch etwa zwölf Stunden. Das Problem war nur, dass er den entscheidenden Punkt noch immer nicht gefundenhatte. Er verstand noch immer nicht, was die Fälle verband. Gut, er begriff, wie und warum die Jungs aus Wittris
The Wake
zum Opfer gefallen waren. Aber der letzte Mord war ihm noch immer ein Rätsel: Warum hatte
The Wake
einen russischen Landmaschinen-Ingenieur ins Jenseits befördert? Warum nur? Das ergab überhaupt keinen Sinn.
»Dad Legsey, wurde
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