Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman
Weile nach und rieb sich dabei mit dem Daumen, auf den eine Blaudrossel tätowiert war, über die Lippen.
Dann traf er eine Entscheidung. Die Tür fiel erst zu und ging dann weit auf.
»Na gut«, sagte er, »ich bin Dad Legsey.«
Er lächelte: Wittris-Zähne.
Dad Legsey führte sie in ein düsteres Zimmer im Erdgeschoss, von dem ein großes Fenster auf einen mit Flutlicht angestrahlten
Garten hinausging. Er zeigte auf ein paar Sessel.
»Ich hab’s mit Anrufen versucht«, sagte Fletcher. »Besetzt.«
»Millionär. Seit Jahren will ich da rein.«
»Dad Legsey, es geht um früher.«
Es folgte ein Schweigen, während Dad Legsey sich setzte.
Sessel und Fernseher waren die einzige Möblierung des Zimmers. Dad Legsey zog eine Tabakdose hervor und drehte sich mit zwei
Fingern eine Zigarette, worauf er ein Feuerzeug aus der Hosentasche zog.
»Was is mit früher, worum geht’s, Junge?«
»Um 1978, Dad Legsey.«
Dad Legsey erstarrte mitten in der Bewegung, das Feuerzeug gezückt, dessen Flamme scharfe Schatten in sein Gesicht warf, und
sah erst Fletcher, dann Sal an. Dann steckte er die Selbstgedrehte an, und Tabakfasern kräuselten sich knisternd.
»Wollt ihr Tee?«, fragte er.
»Nein, danke . . .«
»Doch keinen Beuteltee, Junge.
Blauer Tee.
In der guten alten Zeit, damals vor der Trockenlegung, da haben wir den aus Mohn gebraut, der vertreibt die Schmerzen. Das
alte Rezept da, das geht immer noch rum. Gibt kein Gesetz dagegen, heißt es. Ich hab da einen in der Küche am Kochen, ist
gut für den Schlaf. Ihr seht so aus, als ob ihr das brauchen könnt.«
»Polizeibeamte haben es nicht so mit Opiaten, Dad Legsey. Aber ich habe nicht die Zeit, mir Ihre Küche anzuschauen.«
Dad Legsey zuckte die Schultern. »Wie’s beliebt. Also was . . .«
». .. wir wollen? 1978. Das war ein kalter Winter damals.«
»Da bin ich fein im Warmen geblieben. Nich rausgegangen.«
»In dem Jahr gab es eine Verbrechenswelle.«
»Ach ja?«
»Menschen wurden verletzt. Leute, bei denen eingebrochen wurde, und auch einige Kriminelle. Ich rede von der
Lovely Brigade
.«
Dad Legsey klopfte Zigarettenasche ab und ließ die Augen durchs Zimmer wandern. Es schimmerte ein Licht in ihnen, das zum
Teil vom Gartenfluter kam und wahrscheinlich zum Teil auch dem blauen Tee zu verdanken war. Das Licht wurde heller, und plötzlich
kullerten ihm zwei große Tränen über die Wangen.
»Das warn Kinder«, sagte er. »Die
Brigade
, das warn Kinder, mehr nich. Das konnte nich gutgehn.«
»Ihr Sohn war auch dabei, Dad Legsey. Ihr Sohn Paddy Legsey.«
Der Alte erwiderte nichts.
»Paddy Legsey«, wiederholte Sal. Die Worte hallten leise durch den Raum.
»Sie haben ’ne schöne Stimme«, sagte Dad Legsey. »Sagen Sie’s noch mal.«
»Was . . .?«
»Sagen Sie meinem Sohn seinen Namen.«
»Paddy. Paddy Legsey.«
Dad Legsey schloss eine Weile die Augen.
»Nur einmal hab ich gehört, wie ein Mädel seinen Namen gesagt hat. Er war fünfzehn, und da steht sie vor der Tür. Das Haar
hängt ihr in der Stirn, nass.
Zu Paddy will ich
, sagt sie. Ich dachte, das werd ich noch oft hören.« Mit glühenden Augen betrachtete Dad Legsey seine Zigarette. »Was wisst
ihr von meinem Paddy?«
»Er war erst sechzehn, aber er hat bei der Brigade mitgemacht«, sagte Fletcher. »In den Akten steht, dass er so schlimm war
wie Swilter und Gaffy.«
Dad Legsey blickte auf. »Swilter und Gaffy, die warn bekloppt, das konnte nich gutgehn. Von Kind an warn die bekloppt. Wir
alle wussten, wie so was ausgeht.«
»War Paddy denn anders? Ich habe seine Unterlagen gesehen. Er hat Einbrüche verübt und besaß einen Totschläger.«
»Das ist gelogen.«
»Wirklich? Im Herbst 1978 ging es zwischen Thinbeach und hier ziemlich heftig zu. Die Familien aus der Lovely Street haben
ganze Dörfer geplündert, Farmen ausgeraubt . . .«
»Auf den Farmen, da hocken die Normannen. Die kriegen ihr Fett.«
». .. und dann wurde das Raubgut an Hehler in Wittris verscherbelt. Ihr Sohn Paddy Legsey hat mitgemacht und seinen Totschläger
benutzt . . .«
»Er hat nie einen Totschläger benutzt.«
»Dad Legsey, wie war Paddy denn?«, fragte Sal.
»Paddy? Mein Paddy war ein richtiger Prinz. Sah gut aus, und klug war er noch dazu. Mit vierzehn hat er sich in der Bücherei
eingeschrieben. Ich hab gesehn, wie er mit der kleinen Mitgliedskarte Schiebefenster aufgemacht hat, und dabei hat er mit
sich selbst geredet, so Zeugs aus den Büchern,wo er
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