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Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman

Titel: Tod einer Strohpuppe: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lennon
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selbstbewusstes Klopfen, das in dem großen Raum widerhallte.
     Sie ging zur Tür und schaute hinaus.
    Der Mann stand auf der Rampe. Er war groß, hatte breite Schultern und trug eine militärische Tarnuniform, die ihn fast mit
     den grünen Büschen auf dem Vorplatz verschmelzen ließ. Sein Gesicht allerdings zeichnete sich deutlich ab. An seine länglich-ovalen,
     honigbraunen Augen erinnerte sie sich noch gut von seinem letzten kurzen Auftauchen auf der Straße. Sein Haar wirkte so, als
     hätte er es gerade eben feucht gekämmt. Sein Kragen stand offen und ließ die Narbe unter dem Kinn erkennen.
    Sie ging ins Zimmer zurück, suchte die Visitenkarte der Polizistin und rief sie an. Die Polizistin ermahnte sie, die Tür verschlossen
     zu lassen. Sie rief ihren Vater an und hörte, dass er mit quietschenden Reifen kehrtmachte.
    Judith saß eine Weile da und dachte nach. Dann ging sie zur Tür zurück, wo der Mann mit dem ordentlich gekämmten Haar noch
     immer wartete. Sein Blick wanderte über ihr Kleid nach unten und wieder zurück. Sie betrachtete ihn ihrerseits in aller Ruhe
     von oben bis unten und stand so, die Hand an den Türriegel gelegt, da. Sie ließ ihn warten.
     
    Fletcher, der sich auf dem Weg zur Charter Farm befand, dachte über das phantasievolle Vorgehen von Iwan nach. Der Russe hatte
     einen einsamen Ort gesucht, wo er sich verborgen halten konnte, und gleichzeitig eine Möglichkeit gefunden, sich an Peter
     Charter heranzumachen, also an jenes bedeutungslose Mitglied von
The Wake
, das auf Tevershams Kassette erwähnt worden war. Iwan hatte einen Riecher fürdie Albträume anderer Menschen. Charters Albtraum waren die Jugendlichen aus Wittris.
    Dann kam ein Anruf von Sal.
    »Fletcher, ich habe etwas gefunden. Vielleicht genau das Ereignis, das die Verbindung zwischen den Niva-Traktoren und Thinbeach
     herstellt.«
    »In den Polizeiakten?«
    »Ich habe noch andere Quellen angezapft. Ich komme jetzt nach Thinbeach, weil ich gerade einen Anruf von Judith Denton erhalten
     habe. Sie ist ganz allein in Deep House und sagt, dass vor der Tür ein Russe steht.«
    »Was will er?«
    »Das weiß sie nicht.«
    Fletcher wendete den Audi in der Einfahrt eines Feldes. Wenn Charter sich vor Einbrechern fürchtete, wie sah dann Thomas Dentons
     Albtraum aus?
    »Ist Judith verängstigt?«, fragte er.
    »Sie klang eher nicht so.«
    »Ich bin in zehn Minuten da. Und du?«
    »Ich brauche ungefähr zwanzig. Vielleicht verpasse ich die Show.«
    Fletcher fragte sich, was für eine Art Show es wohl werden würde.
     
    Iwan erinnerte sich später niemals daran, welche Worte gefallen waren. Das war auch nicht nötig, er erinnerte sich an das,
     was er gesehen hatte.
    Da war der Parteifunktionär: sein bleiches Gesicht und die roten Lippen, die sich tonlos bewegten wie in einem Stummfilm.
     Da war der schimmernde rote Stern an seinem Kragenaufschlag. Da waren der Wäschedampf und der Geruch, der aus der Schürze
     der Nachbarin aufstieg.
    Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Mutter die Hände vor dem Gesicht zu Fäusten ballte. Er sah die vom Waschen
geröteten Handrücken gegen das Weiß der Finger. Dann waren die Hände so verkrampft, dass sie überall weiß waren. Von den Nägeln
     stieg Dampf auf.
    Die Lippen des Parteifunktionärs bewegten sich immer noch. Er steckte die Hand in die Aktentasche und holte etwas heraus:
     einen großen, braunen, vollgestopften Umschlag. Den leerte er behutsam auf dem Tisch aus.
    Iwan spürte, wie die Nachbarsfrau tief Luft holte. Er sah, wie der Inhalt sich ohne den geringsten Laut auf dem Tisch ausbreitete.
    Es waren die Sachen seines Vaters. Beinahe hätte Iwan gelacht, weil dieser ganze Kram ohne seinen Vater, der die Sachen benutzte,
     so absurd wirkte. Da waren die Brieftasche seines Vaters, seine Uhr und ein Kupferband gegen Rheuma. Zuletzt rollte der Fallminenbleistift
     seines Vaters auf den Tisch. Die Spitze war abgebrochen, aber in der Hand seines Vaters wäre der Stift sofort wieder ein Zeichengerät
     gewesen. Dort, auf dem Tisch, lag alles ausgebreitet: alles, was zu seinem Vater gehört hatte.
    Der Parteifunktionär griff wieder in die Tasche und zog ein dunkles Metallkästchen heraus. Als er es auf den Tisch stellte,
     legte sich der Schatten dunkel auf die Tischplatte. Auf der Seite klebte ein Etikett, mit englischen Buchstaben beschriftet,
     die Iwan nicht lesen konnte.
    Der Parteifunktionär zögerte. Er warf einen Blick auf seine Aktentasche. Etwas lag noch

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